Teeblätter und Taschendiebe
Brooks?«
»Bin sofort zurück.« Brooks eilte leichtfüßig die elegante, aber ziemlich steile, schmale Treppe hoch. Kurze Zeit später kehrte er mit einem altmodischen Messingmikroskop in der Hand zurück.
»Das habe ich vor Jahren mal spottbillig in einem der Morgan-Memorial-Läden gekauft«, erklärte er und begann, es richtig einzustellen. »Dann wollen wir uns mal ein oder zwei Kristalle anschauen.«
Mit einer spitzen Pinzette isolierte Brooks einige Körnchen, arrangierte sie auf einem Objektträger und schob sie unter das Mikroskop.
»Ah ja, sehr interessant. Salz ist es jedenfalls nicht. Der Struktur der Kristalle nach zu urteilen, sieht es eher nach Zucker aus. Genau wie ich erwartet habe.«
»Und was ist es deiner Meinung nach?«
»Ich möchte mich lieber nicht festlegen. Ich schlage vor, wir bringen das Zeug ins Polizeilabor.«
Max schüttelte den Kopf. »Ich kann sehr gut verstehen, daß du die Verantwortung nicht übernehmen möchtest, aber ich würde es doch lieber zuerst einem Bekannten von mir zeigen. Er ist Chemiker und kann es genau analysieren. Ich möchte erst zur Polizei gehen, wenn ich wirklich sicher bin, daß es einen triftigen Grund gibt. Was mir übrigens äußerst unangenehm wäre«, fügte er nüchtern hinzu. »Du bist dir sicher bewußt, Brooks, daß Dolph und Mary ruiniert sind, wenn sich herausstellt, daß auch nur der leiseste Verdacht besteht, jemand könnte im Center mit Drogen handeln.«
»Und was soll dann aus all den Obdachlosen und Bettlern werden, die darauf angewiesen sind, daß man ihnen ein schönes gemütliches Begräbnis spendiert?« brummte Jem. »Ich will wirklich nicht den großen Menschenfreund herauskehren, aber ich muß zugeben, daß es mir sehr gegen den Strich ginge, wenn so ein armer Teufel unbeerdigt herumliegen müßte, nur weil Cousin Dolph wegen Drogenhandels im Knast säße. Du lieber Himmel, könnt ihr euch vorstellen, wie der alte Sturkopf neben seinem Kloeimer in der Zelle hockt und den Wärter anschnauzt, ihm das Wall Street Journal zu bringen?«
»Onkel Jem, das ist überhaupt nicht komisch«, protestierte Sarah. »Ist dir denn nicht klar, daß Dolph tatsächlich im Gefängnis landen könnte?«
»Aber verurteilen kann man ihn doch nicht, oder?«
»Nein, natürlich nicht. Nur so lange festhalten, bis seine Menschenfreundlichkeit am Ende und Marys Herz gebrochen wäre.«
Sarah merkte erst, wie nahe sie den Tränen war, als Max etwas für ihn höchst Ungewöhnliches tat, nur weil er versuchte, sie abzulenken. Er nahm eine der Tassen, in denen sich noch vor kurzem Schlummertee befunden hatte, und reichte sie Theonia. Die Tasse gehörte zu einem kostbaren, blauweißen Porzellanservice, das ein Kelling-Klipper irgendwann um 1800 aus Hangzhou mitgebracht hatte.
»Okay. Du bist doch Wahrsagerin. Wie wär's, wenn du uns sagst, was die Zukunft bringt?«
Theonia nickte, nahm die Tasse in ihre schlanken Finger und drehte sie nach unten. Ein paar Blätter fielen auf die Untertasse. Theonia betrachtete die Teeblätter, die im Inneren der Tasse haften geblieben waren. Ohne ein Wort zu sagen, warf sie auf einmal die wertvolle Porzellantasse so heftig gegen die Kaminwand, daß sie an den rußgeschwärzten Backsteinen zerschellte. Dann stand sie auf, strich ihren Samtrock glatt und sagte genauso sanft, als wäre nichts geschehen: »Bitte entschuldigt mich jetzt, ich habe oben noch allerlei zu erledigen«, und verschwand.
»Daraus müssen wir wohl oder übel schließen, daß die Party vorbei ist«, sagte Jem. »Bist du so nett und rufst mir ein Taxi, Brooks?«
Kapitel 3
Als Sarah aufstand, führte Max gerade ein Telefongespräch mit einem Herrn namens Pepe in Marseille und gab ihm wichtige Instruktionen, was zwei Paul Klees und einen Winslow Homer betraf.
»Was für eine ungewöhnliche Kombination«, stellte Sarah fest, als er endlich aufgelegt hatte. »Ich nehme an, du hattest gerade Pepe le Moko an der Strippe. Hast du nicht gesagt, du wolltest selbst nach Marseille fliegen?«
»Wollte ich auch, bis die Sache mit Dolph passiert ist. Pepe kann den französischen Teil auch gut ohne mich bewältigen, hoffe ich jedenfalls. Es wird höchste Zeit, daß ich mehr Verantwortung auf andere übertrage. Sein Nachname ist übrigens Ginsberg und wird Giehnsbähr ausgesprochen. Du hast ihn kennengelernt, als wir in Paris waren, erinnerst du dich? Der Typ, der aussieht wie ein Nerz in einem lila T-Shirt. Wie geht's unserem Sprößling heute morgen?«
»Ich habe ihn
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