Teeblätter und Taschendiebe
Gent. Max verkündete, er könne jetzt losfahren, und fragte, ob Sarah mitkommen wolle.
»Selbstverständlich. Du mußt dich allerdings eine Minute gedulden.«
»Ich gedulde mich sogar zwei Minuten, wenn es sein muß. Ich hole schnell deine Jacke. Welche möchtest du anziehen?«
»Die weiße Lodenjacke, die du mir aus Österreich mitgebracht hast. Ich glaube, den obersten Knopf kriege ich gerade noch zu.«
Sarah hatte sich ein weites Schwangerschaftskleid in einem dunklen Grünton gekauft, der hervorragend zur Jackenpaspel paßte. Der Chemiker schien beeindruckt. »Ich hole Ihnen schnell einen Stuhl, Mrs. Bittersohn. Es wird nicht lange dauern.«
Er war tatsächlich im Handumdrehen zurück, wirkte aber sichtlich bekümmert.
»Fußpuder?« erkundigte sich Max.
»Nein, es handelt sich um Heroin. Sie dürften so etwas gar nicht besitzen, Mr. Bittersohn. Eigentlich müßte ich es sofort der Polizei aushändigen.«
»Das werde ich selbst erledigen«, versprach Max.
»Eh - bald?«
»So bald wie möglich.«
»Das genügt mir. Irgendwelche interessanten Neuigkeiten aus der Kunstszene?«
Der Chemiker, ein älterer Mann mit einer Adlernase, verspürte anscheinend Lust, sich über Fälschungstechniken zu unterhalten. Max überhaupt nicht. »Ich schau mal, ob ich was für Sie ausgraben kann, Mr. Smithers. Vielen Dank für die prompte Erledigung.«
»War mir ein Vergnügen. War nett Sie kennenzulernen, Mrs. Bittersohn.«
Sarah, der es von den Labordünsten und vor allem von dem, was sie gerade erfahren hatte, ziemlich übel geworden war, versicherte, für sie sei es ebenfalls nett gewesen, und verließ gemeinsam mit Max den Schauplatz des Geschehens.
»Heroin?« fragte sie, als sie genug frische Luft getankt hatte, um ihren Magen zu beruhigen. »Max, das ist ja furchtbar!«
»Erfreulich ist es wirklich nicht, mein Herz. Wie fühlst du dich?«
»Was glaubst du wohl? Komm, am besten, wir gehen sofort zum Center und hören uns an, was Mr. Loveday zu sagen hat.«
»Bist du sicher, daß du so weit laufen kannst?«
»Der Doktor hat mir viel Bewegung verordnet.«
»Aber er hat dir bestimmt nicht verordnet, daß du in einem Mordfall ermitteln sollst, der mit Rauschgiftschmuggel zu tun hat.«
»Er hat es mir aber auch nicht ausdrücklich untersagt, Liebling. Ich kann unmöglich brav zu Hause herumhocken und den ganzen Tag Babysöckchen häkeln. Ehrlich gesagt kann ich überhaupt nicht häkeln, es wird jedesmal ein Riesendurcheinander, wenn ich es versuche. Außerdem hat deine Schwester Miriam diesen Teil bereits freiwillig übernommen. Sie hat schon drei Pullöverchen und eine wunderschöne Decke für den Kinderwagen fertig.«
»Besitzen wir denn überhaupt einen Kinderwagen?«
»Wir haben den hinreißenden Sportwagen aus Weidengeflecht, in dem deine Mutter dich herumgefahren hat, als du ein Jahr alt warst, außerdem noch den Kinderwagen, den Tante Emmas Eltern ein Jahr vor der Geburt von Bed Junior aus London haben kommen lassen. Natürlich haben ihre Söhne, deren Kinder und diverse Enkelchen schon in dem Wagen gelegen, aber sie hat mir versichert, daß er noch hervorragend in Schuß ist. Tante Appie hätte uns liebend gern Lionels Wagen gegeben, aber seine vier kleinen Hyänen haben ihn schon vor Ewigkeiten in sämtliche Bestandteile zerlegt. Seine Gattin hat die traurigen Überreste an dem Tag auf den Müll geworfen, an dem sie die Ketten der Mutterschaft abgeschüttelt hat und hinaus in die Welt gezogen ist, um mit Tigger zusammenzuleben. Was ist eigentlich aus Tigger geworden? Sie war einer von Tante Appies großen Problemfällen, aber ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen.«
Max zuckte mit den Achseln.
»Vielleicht hat sie sich endlich das Gesicht gewaschen, in den Spiegel geschaut und ist vor Schreck tot umgefallen. Ich persönlich habe sie zuletzt in Rotterdam gesehen.«
»Max, du gemeiner Schuft! Davon hast du mir nie was erzählt!«
»Hätte es dich denn interessiert? Ehrlich gesagt hatte ich es selbst total vergessen, es ist mir erst wieder eingefallen, als du sie eben erwähnt hast.«
»Und was hatte Tigger in Rotterdam zu suchen?«
»Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, sie zu fragen.«
»Hat sie dich gesehen?«
»Ich habe verdammt gut aufgepaßt, daß sie mich nicht gesehen hat!«
Was man ihm nicht verdenken konnte, fand Sarah. Sie war selbst nie ganz sicher gewesen, ob Tigger eine ehemalige Freundin von Lionel war oder ob sie zu den Resten gehörte, die von einer Halloween-Party bei
Weitere Kostenlose Bücher