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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Mama, dass du nicht daheim bist?«
    Â»Ja, natürlich«, log Hörwangl und spürte, dass ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Wie sollte er diese heimliche Aktion nur seiner Frau erklären, falls sie ihn danach fragte?
    Â»Du, Sissy«, sagte er deshalb möglichst ruhig. »Das ist eine Überraschung für die Mama, die wir da gerade organisieren. Jetzt fahr mal lieber weiter, ich erzähl’s dir dann.«
    Â»Eine Überraschung?«, kiekste Sissy – Hörwangl war sich sicher, dass sie Drogen genommen oder zumindest irgend so ein scheißbuntes Mixgetränk getrunken hatte, wie es sich die Jugendlichen neuerdings immer hineinpfiffen. Ihr Freund und Fahrer spielte derweil am Lautstärkeregler herum, sodass der Anton aus Tirol mal lauter, mal leiser, mal mit mehr Bass, mal mit weniger aus dem Auto waberte.
    Amend spähte nervös in Richtung Grundnerhof. Das hatte jetzt gerade noch gefehlt, dass dem Hörwangl seine Tochter hier mitten in der Nacht aufkreuzte! Da war schon was dran, dass dauernd in der Zeitung stand, dass die Leut’ ihre Kinder nicht mehr im Griff hatten.
    Â»Also, jetzt fahrt’s zu!«, drängte Hörwangl. Und weil der Fahrer zwar nichts gehört, aber die wegwerfende Handbewegung gesehen hatte, fuhr er an.
    Großmann, Amend und Hörwangl waren nur wenige Meter gegangen, da hörten sie ein Sirren, das schnell näher kam. Hals über Kopf sprangen sie in die zum See hin gelegene Wiese und warfen sich auf den Boden. Sekunden später kam in flottem Tempo ein Radfahrer vorbeigerauscht.
    Â»Ohne Licht!« Hörwangl schüttelte den Kopf.
    Â»Was da passieren kann!«, stimmte Amend zu.
    Â»Sacklzement«, fluchte Großmann, hatte er sich doch aus lauter Eifer, nicht entdeckt zu werden, in eine der ersten Brennnesselkolonien des noch jungen Jahres geworfen. Seine Hände und die linke Gesichtshälfte brannten wie Feuer. Doch Amend und Hörwangl duldeten kein Gejammer, sie hatten heute noch Großes vor, und der Großmann würde seinen Teil der Arbeit ohnehin schnell erledigt haben und wieder nach Hause radeln können.
    Aufmunternd sagte Hörwangl deshalb: »Du, da gibt’s ein Wellnesshotel in Gmund, da zahlen die Urlauber neunzig Euro dafür, dass sie eine Ladung Brennnesseln ins Gesicht bekommen. Und du bekommst das Anti-Aging jetzt durch uns sogar kostenlos! Was meinst du, wie das deine Gesichtshaut strafft! Da wird deine rassige Rita aber staunen. ›Deine Haute iste wie eine Popo von Baby!‹, wird sie sagen.«
    Â»Jetzt red nicht so einen Krampf«, knurrte Großmann, spuckte in sein Taschentuch und legte es sich in der Hoffnung auf Kühlung an die glühende Wange. Schlecht gelaunt stapfte er neben den anderen her in Richtung Grundnerhof. Offensichtlich reichte es nicht, dass er seinen Kameraden bei ihren kriminellen Machenschaften half, nein, er musste sich auch noch beleidigen lassen. Und das mitten in der Nacht!
    Wenig später lag das große Bauerngut vor ihnen. Vor hundertdreißig Jahren hatte hier der mit einer Körpergröße von 2,35   Meter größte Deutsche seiner Zeit gelebt: Der Riese vom Tegernsee hatte hundertfünfundfünfzig Kilogramm gewogen, war aber bereits in jungen Jahren gestorben. Alle am Tegernsee kannten die unglückliche Geschichte des Thomas Hasler, dessen Größenwachstum man sich damit erklärt hatte, dass er als Neunjähriger von einem Pferd gewaltig gegen den Kopf getreten worden war. Amend malte sich aus, wie es wäre, wenn plötzlich der Wiedergänger des monströsen Giganten vom Tegernsee sich vor ihm aufbaute und ihn in seine riesenhaften Pranken nahm. Schaudernd schüttelte er sich.
    Auch das Anwesen sah nachts noch größer aus als bei Tag. Irgendwo klapperte ein Fensterladen. War es der Wind? Oder spielte der kleine Finger des Riesengeists mit dem Holzladen?
    Hastig machten sich die drei ans Werk: Erst wuchteten sie mit einem Eisen den Kanaldeckel an der Straße hoch. Dann stieg Großmann mit einer Stirnlampe am Kopf die Leiter hinunter, und Hörwangl reichte ihm den Notfallkoffer hinterher. Jedes Mal, wenn ein Auto angefahren kam, versteckten sich Hörwangl und Amend bei dem kleinen Stall, in dem Kürschner einige Haflinger hielt. Beim dritten Auto wieherten die Pferde, weshalb Amend, nachdem er wieder zum Kanalloch hinübergewechselt war, zu Großmann hinunterrief: »Wie lange brauchst

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