Tegernseer Seilschaften
»Also, ich meine, ähm, also, sind Sie sich ganz sicher, dass bei Ihnen, äh, alles gut geht?«
»Ja, verdammt noch mal!«, fluchte Anne jetzt. »Was fragen Sie so blöd? Ist irgendwas?«
»Es ist nur«, rückte Nonnenmacher zögerlich heraus, »dass, also, ich habe gehört, dass Ihr Mann, also Freund, dass der abgehauen, also, hähm, nicht da ist â¦Â«
»Von wem haben Sie das gehört?«, fragte Anne vorwurfsvoll.
»Man kennt sich halt, man hört halt das eine oder andere, hier im Tal â¦Â«
»Hat der Seppi Ihnen was gesagt?«, bohrte Anne nach.
»Der Seppi? Nein, der nicht, wieso meinen Sie?«
Anne erzählte Nonnenmacher, dass Sepp Kastner sie besucht habe und sie ihn beinahe umgebracht hätte, weil sie dachte, er sei ein Einbrecher. Nonnenmacher runzelte die Stirn: »Aber dass Ihr Freund nicht da ist, das stimmt schon, oder?«
»Ja, aber das ist ganz normal, wissen Sie, er ist in München und recherchiert für seine Doktorarbeit.«
»So, so«, sagte Nonnenmacher. »Doktorarbeit, ganz normal.« Und nach einer Pause: »Wissen Sie, wir sind schon daran interessiert, dass unsere Mitarbeiter ein intaktes Privatleben haben, weil sonst können wir selber ja auch nicht gut arbeiten. Also: Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung, wenn Sie einen Rat brauchen.«
Woher er wusste, dass Bernhard nicht da war, verriet Nonnenmacher aber nicht. Anne fühlte sich etwas unwohl. Schnell angelte sie ihr Handy aus der Jacke, ging damit auf die Damentoilette und rief die Nummer von Bernhards WG in München an. Eine verschlafene Stimme meldete sich mit: »Ja?«
»Hallo, hier ist Anne, ist Bernhard da?«
»Jaaa«, gähnte die Stimme.
»Kann ich ihn bitte sprechen?«
»Jaaa«, noch ein Gähnen, »einen Moment.«
Anne hörte ein Seufzen, Schritte, Klopfen, das Ãffnen einer Tür, und dann: »Ja? Bernhard hier?«
»Bernhard!«, sagte Anne vorwurfsvoll. »Ich binâs! Wann kommst du endlich wieder? Ich brauche dich hier!«
»Ach«, entgegnete Bernhard und hörte sich dabei wie benommen an, »ich wollte dich sowieso anrufen.«
»Bernhard, wie geht es dir?«
»Es geht.«
»Warum hörst du dich so komisch an?«
»Doktor Kaul hat mir ein Medikament gegeben.« Er gähnte.
»Du warst bei Doktor Kaul?«
»Ja.«
»Was ist das für ein Medikament?«
Er gähnte erneut. »Eines, das entsetzlich müüüde macht.«
»Bernhard, ich brauche dich! Ohne dich funktioniert das hier nicht. Ich muss arbeiten. Du musst dich nachmittags um Lisa kümmern. Wir haben eine Vereinbarung. Wie stellst du dir das vor?«
Bernhard gähnte wieder, sagte aber nichts.
»Du setzt dich jetzt sofort in den Zug und kommst her!«
Nachdem Anne zur Beendigung des Gesprächs die rote Taste gedrückt hatte, sagte sie laut zu sich selbst: »Was bildet der sich eigentlich ein? Wir haben schlieÃlich eine Vereinbarung.«
In diesem Moment hörte sie, dass jemand im Raum vor der Toilettenkabine sein musste, und riss die Tür auf. Es war Sepp Kastner, der da stand. Sein Gesicht glühte tomatenrot.
»Was machst du bitte auf der Damentoilette?«, fuhr sie ihn an.
»Ach, ich, ich wollte nur schauen, ob da noch Papier im Papierbehälter ist«, stammelte er.
Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
»Also Anne, was ich dir sagen wollte: Also, wenn dein kranker Freund, also wenn der nicht kommen kann, also weil der zu schwach ist, dann ist das nicht schlimm.«
»Nicht schlimm«, wiederholte Anne.
»Ja«, fuhr Kastner fort, »weil ich hätte da eine Lösung für dein Problem.«
»Welches Problem?«
»Na ja, mit deiner Tochter halt.«
»Was ist mit meiner Tochter?«
»Dass sie jemand abholen muss vom Kindergarten.«
»Woher weiÃt du das?«
»Nun«, Kastner zuckte mit den Schultern, »ich war ja zufällig hier wegen dem Papier und habe gehört, dass die Lisa jemand abholen müsste. Also, die Lösung wäre, dass meine Mutter sie abholt. Ich kann sie gleich anrufen.«
Anne sah Sepp Kastner ungläubig an. Was ging in diesem Mann vor? Er schlich nachts über ihre Terrasse, er verfolgte sie bis in die Damentoilette, und jetzt bot er ihr auch noch an, dass seine Mutter Lisa abholen könne! Was sollte sie nur tun? War er in sie verliebt? Dann hatten sie ein
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