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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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schön ausgeschaut hat der, das sag’ ich dir.«
    Am Leeberg oben ragte der Baum, an dem der tote Fichtner gehangen hatte, so friedlich in den Himmel, als wäre nie etwas geschehen. Mittlerweile lag der Tod des Bauern fast zwei Wochen zurück. Die Erde um den Baum war vom Tauwetter aufgeweicht. Ob da ein professionelles Kripoteam noch Spuren würde sichern können? Wenn nur Nonnenmacher endlich seine Vorbehalte gegen Öffentlichkeit und die Kripokollegen aus Miesbach aufgeben würde – dann könnten sich die Profis den Tatort noch einmal genau ansehen. Anne ärgerte sich, dass sie sich bei Nonnenmacher in dieser Sache nicht durchgesetzt hatte. Schließlich war der Tatort bei den meisten Verbrechen der Schlüssel zur Aufklärung. Hoch konzentriert untersuchte Anne die Rinde des Todesbaums. Allerdings konnte sie nichts Auffälliges entdecken. Dann betrachtete sie den Boden um den Baum herum, vielleicht lag ja noch irgendwo ein Gegenstand, der einen Hinweis auf das Geschehen geben konnte. Aber da war nichts, nicht einmal eine Zigarettenkippe oder eine Stofffaser. Anne schüttelte enttäuscht den Kopf. Um nicht ganz umsonst da gewesen zu sein, spannte sie ein Absperrband, das sie aus dem Kofferraum des Streifenwagens geholt hatte, in einem Kreis von etwa fünfzehn Metern um die Bäume herum, die den Todesbaum umringten.
    Â»Warum machst du das, Mama?«
    Â»Weil hier jemand gestorben ist und wir noch herausfinden müssen, wie das genau passiert ist.«
    Â»Wo ist jemand gestorben, Mama?«
    Â»An diesem Baum.«
    Â»Wie kann man an einem Baum sterben, Mama?«
    Â»Das wissen wir auch nicht so genau«, wich Anne der Frage ihrer Tochter aus.
    Â»War das ein Räuber?«, wollte Lisa nun wissen.
    Â»Nein, das war kein Räuber, das war ein Bauer.«
    Â»So einer mit Kühen?«
    Â»Ja, so einer mit Kühen und Hühnern und so. Weißt du, das war der Mann von der Frau, die wir vor ein paar Tagen mit Bernhard auf ihrem Bauernhof besucht haben. In der Mühlgasse oben. Da bist du doch mit Bernhard in der nassen Wiese herumgehüpft. Weißt du noch?«
    Lisa nickte. »Ja, ich weiß schon. War der Mann schon alt und ist deshalb gestorben … so wie Urgroßvater?«
    Â»Nein, der war nur so mittelalt«, sagte Anne.
    Â»Und warum ist er dann gestorben?«, bohrte Lisa nach.
    Â»Weil er … wir … wissen es nicht genau.«
    Â»Warum muss da die Polizei was untersuchen?«, fragte Lisa weiter. Und ob da normalerweise nicht nur der Arzt komme.
    Langsam kam Anne ins Schwitzen. »Weil der Mann vielleicht gar nicht sterben wollte.«
    Â»Also war es doch ein Räuber. Hat ihn ein Räuber geschossen mit seiner Pistole?«
    Â» Er schossen«, verbesserte Anne ihre Tochter. »Nein, kein Räuber mit einer Pistole. Aber es kann sein, dass ein Böser ihm das Leben genommen hat. Vielleicht war er es aber auch selbst.«
    Â»Wie kann man einem das Leben wegnehmen?«, wollte Lisa jetzt erstaunt wissen.
    Sepp Kastner hatte das ganze Gespräch ungläubig mitverfolgt, jetzt sagte er ungeduldig: »Er hat sich halt vielleicht aufgehängt, Lisa, jetzt hör’ einmal auf mit dem Fragen!«
    Lisa tat so, als wäre Sepp Kastner Luft, und sah ihre Mutter mit großen, neugierigen Augen an. »Wie kann man einem das Leben wegnehmen, wenn man ihn aufhängt, Mama?«
    Kastner fand es unerhört, dass eine Fünfjährige die Frechheit besaß, ihn derart unverfroren zu ignorieren. Deshalb sagte er mit rauer Gruselstimme: »Indem man ihm die Schnur so um den Hals legt, dass er keine Luft mehr bekommt.« Dabei griff er mit beiden Händen um Lisas Hals. Lisa entwand sich ihm und fragte ernsthaft: »War das bei dem Mann so, Mama?«
    Â»Vielleicht«, so Anne.
    Â»Darf man das, Mama?«
    Â»Eigentlich nicht, also …«, Anne zögerte, »… es ist so, dass eigentlich jeder Mensch alles tun darf, was er mag, nur darf er damit anderen Menschen nicht schaden. Aber … töten darf man sich eigentlich nicht.«
    Â»Weil es wehtut?« Lisa schaute ihre Mutter fragend an.
    Â»Nein, weil wir Menschen zum Leben da sind und nicht zum Totsein und weil wir alle ja auch von jemandem gemocht werden, der dann traurig ist, wenn ein Mensch stirbt.«
    Â»Hat den Mann keiner gemocht?«
    Â»Doch, ich glaube schon. Er hatte ja auch zwei Söhne und diese Frau, die wir vor Kurzem besucht

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