Tegernseer Seilschaften
rief Lisa begeistert. Bernhard musste lächeln. Anne zog seine Schuhe unter dem Bett hervor und hielt sie ihm hin.
»Komm mit. Wenn du schon nichts isst â wir Mädels brauchen was.«
Wenig später saÃen Bernhard, Anne und Lisa in der benachbarten Augustiner-Gaststätte und waren so mit ihren Schnitzeln beschäftigt, dass sie die abenteuerliche Indoorbiergartendekoration gar nicht wahrnahmen. Auch Bernhard aà â trotz des von ihm vermuteten Magengeschwürs â mit erstaunlichem Appetit. Und das Bier schien ihm ebenfalls zu schmecken. Anne wusste einfach nicht, wie sie mit dieser mysteriösen Krankheit umgehen sollte.
Und sie wusste nicht, dass sich etwa zur selben Zeit vier Tegernseer für einen nächtlichen Einsatz gegen den Milliardär Kürschner wappneten. Ihre Hilfsmittel: ein Notfallwerkzeugkoffer und ein Traktor, ein Jauchefass, gefüllt mit Milch.
Nach dem Essen â Lisa schlief schon tief und fest â wollte Bernhard von ihr wissen, wie es im Fall Fichtner stehe. Anne erklärte ihm den Status quo: dass keine neuen Erkenntnisse vorlägen. Dass sie die zwischenzeitliche Theorie â Tod durch Strangulation mit sexuellen Motiven â für nicht mehr so wahrscheinlich halte. Als Bernhard wissen wollte, wieso, erzählte Anne ihm, dass sie noch einmal am Tatort gewesen seien und dass dieser Ort so rein gar nichts sexuell Stimulierendes verströme, sondern die reine Idylle sei. Aber wenn Fichtner zusätzlich noch ein Exhibitionist gewesen sei?, gab Bernhard zu bedenken. Anne zuckte die Schultern. Und wie sollte diese Sextheorie mit dem verschwundenen Geld in Zusammenhang stehen? Bernhard meinte, dass es durchaus denkbar wäre, dass Fichtner sowohl in einschlägige Bordelle gegangen sei als auch selbst mit seinen exhibitionistischen Phantasien experimentiert habe â in der Natur, vielleicht mit der Erwartung, dass eine Wanderin vorbeikommen und ihn so sehen würde. Der Variantenreichtum sexueller Abartigkeiten sei schlieÃlich unerschöpflich. Anne zog eine Grimasse.
Fast den ganzen nächsten Tag verbrachte die wiedervereinte Familie auf dem Spielplatz. Für Anne fühlte es sich an, als wäre sie nie weg gewesen. Weil Lisa in einem fort spielte und Bernhard schweigend in die Sonne blinzelte, hatte sie Zeit zum Nachdenken: War der Umzug an den Tegernsee der unsinnige Versuch einer Lebensänderung, den sie besser unterlassen hätte? Würde Bernhard wieder normal werden? Hatten andere Leute auch solche Probleme? Hing die Hypochondrie mit ihr zusammen? Und dann die Arbeit: Würde es ihr gelingen, den Fichtner-Fall aufzuklären? Das neue Zuhause: War ihr Nachbar, Herr Schimmler, gerade wieder dabei, ihren Garten umzugestalten? Zwischendurch holte Anne für sich und Bernhard Latte macchiatos im Eltern-Kind-Café und Sandwiches im Bioladen. Sie spürte, wie gut es ihr tat, weg von der Polizeiarbeit, weg von Nonnenmacher und Kastner zu sein â und wenn es nur fünfzig Kilometer waren. Bernhard schien ihre Anwesenheit auch gutzutun, und Anne ärgerte sich gerade darüber, dass sie ihn nicht viel früher aus seinem seelischen Loch befreit hatte, als ihr Handy klingelte. Eine Nummer vom Tegernsee. Sofort fühlte Anne wieder das belastende Stressgefühl der vergangenen Tage.
»Ja?«
»Hallo Anne, hier ist der Seppi.«
»Ja? Und?« Anne konnte es nicht fassen! Konnte dieser Idiot sie nicht einmal am Wochenende in Ruhe lassen?
»Du, Anne, wo bist du denn? Mir haben dich schon gesucht.«
»Seppi, ich habe Wochenende.«
»Ja schon, aber â¦Â«
»Nichts aber, ich habe Wochenende, ich habe keinen Dienst, ich habe frei, ich will von euch nichts hören.« Anne war selbst von sich überrascht: Dass sie plötzlich so direkt ihre Ansprüche geltend machen konnte!
»Ja«, druckste Kastner herum, »aber es ist dringend.«
Ob er wieder fragen wolle, ob sie mit ihm baden gehe, entfuhr es Anne sarkastisch, was ihr einen entsetzten Blick Bernhards eintrug.
»Neinnein«, stieà Kastner hervor, »es ist etwas Schlimmes passiert. Und der Kurt will, dass du da bist. Wo bist du denn jetzt?« Er wirkte nervös.
»In München.« Anne hörte Nonnenmacher im Hintergrund schimpfen.
»Ach so, so weit weg!«, meinte Kastner, dann hörte Anne, wie er zu Nonnenmacher sagte: »Sie ist in München. Deshalb ist sie also nicht da. Was machen wir
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