Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
verbittert aus ihrem Mund kommen sollen. Es klang, als würde sie an einer tödlichen Krankheit leiden. Sie lachte innerlich kurz auf. Hoppla, sie litt ja an einer tödlichen Krankheit. Kein Wunder, dass es so klang.
„Was meinst du damit, Myrtel?“, fragte Kiara besorgt nach. „Du willst dir doch wegen dieses Idioten nicht das Leben nehmen? Das darfst du nicht! Das ist kein Mann wert. Niemals!“
Dieses Mal lachte die ältere Frau laut. Dank ihres Latin Lovers klang es nicht einmal verdrossen. „Nein, ganz bestimmt nicht. Das hat der Mistkerl wirklich nicht verdient.“
„Was hast du dann gemeint?“
„Nichts“, erwiderte sie. Aber sie konnte an Kiaras Gesichtsausdruck erkennen, dass sie damit nicht durchkommen würde.
„Was ist es?“, fragte die tatsächlich nach.
Myrtel zögerte einen Moment. Sollte sie der Neuen wirklich ihr großes Geheimnis anvertrauen? Was, wenn die damit schnurstracks zum Chef geht und ihm davon erzählt?, warnte sie eine innere Stimme. Was, wenn sie überall klatscht, dass es mit dir zu Ende geht und du auch noch den Job verlierst? Myrtel hatte das Gefühl, als würde ein Teufelchen auf ihrer Schulter sitzen und ihr davon abraten, die Wahrheit zu sagen.
Aber warum sollte sie dich verraten?, fragte ein Engelchen auf der anderen Seite nach. Sie hat keinen Grund dafür.
Weil sie scharf auf deinen Job ist, erwiderte der Teufel. Das ist ein guter Grund.
Warum sollte sie den wollen? Sie ist Krankenschwester und beginnt gerade erst im „Pour Elles“. Sie würde den Job niemals erhalten.
Versuchen könnte sie es zumindest. Sie ist ehrgeizig. Hast du nicht gehört, wie sie nach Jack gefragt hat? Sie will sich an ihn ranmachen, um sich hochzuschlafen.
Das ist Quatsch. Sie ist in ihn verliebt, mehr nicht.
Myrtel hatte den inneren Dialog langsam satt. „Ich brauche eine Verbündete für die nächste Zeit“, sagte sie laut und wandte sich an Kiara. „Du musst mir versprechen, dass du niemandem davon erzählen wirst. Niemandem, hörst du?“
Kiara nickte verdutzt. „Ich verspreche es.“
„Ich bin krank. Ich habe Krebs und beschlossen, ihn nicht mehr zu bekämpfen. Er ist bereits das dritte Mal da, und ich bin es leid, ständig gegen ihn antreten zu müssen und dennoch zu verlieren. Mein Leben ist keinen Pfifferling mehr wert. Ich bin allein, meine Schwester lebt weit weg, sie hat ihre eigene Familie. Warum soll ich noch leben? Es gibt nichts, was dieses Leben lebenswert macht.“
Das hatte sie noch niemandem gesagt, und es klang nicht sonderlich aufbauend. Vor allem nicht für eine Freundschaft, die gerade erst entstehen wollte.
Kiara starrte sie betroffen an. „Das tut mir sehr leid. Ich hatte keine Ahnung.“
„Nein, woher auch. Und ich bitte dich nochmals, es für dich zu behalten. Jetzt weißt du auch, warum ich verkatert war und in den Pool gefallen bin. Ich wollte die Angst vor dem Ende wegtrinken, es ist mir aber nicht so richtig geglückt.“
Kiara nahm ihre Hand. „Ich helfe dir, das verspreche ich. Auch wenn du irgendetwas brauchst, Beistand, jemanden zum Reden, ich bin für dich da. Hörst du? Du versprichst mir, dass du dich nicht scheust, mich anzurufen, wenn es dir schlecht geht. Ja?“
Myrtel nickte. Eine Träne wollte aufsteigen, doch sie hielt sie zurück. Es tat so gut, jemanden zu haben, der ihr einfach nur zuhörte und für sie da sein wollte. „Es könnte sein, dass das in den nächsten Wochen wirklich passiert, dass ich dich anrufe, weil ich nicht im Schwimmbecken, sondern im Selbstmitleid ertrinke.“
„Dann komme ich und lenke dich ab. Wir machen die Nacht zum Tage, damit du gar nicht erst darüber nachdenken kannst, was kommen wird.“
Myrtel lachte ein trockenes Lachen. „Wie ein unvernünftiger Teenager? Das klingt nicht nach einer erwachsenen Frau am Ende ihres Lebens.“
„Was interessiert es dich denn, was andere von dir erwarten oder wie sich eine Frau am Ende ihres Lebens zu verhalten hat. Du musst die dir verbliebene Zeit genießen, tu alles, was du schon immer einmal tun wolltest. Flirte, liebe, verreise, fluche auf deinen Mann. Du hast nichts mehr zu verlieren. Lass deine Krankheit oder deinen Ex dir nicht die Lebensfreude nehmen. Die Krankheit ist schlimm genug, aber so lange es dir noch einigermaßen gut geht, solltest du jede Sekunde genießen.“
Myrtel saß da und nickte nur bei jedem Wort. Der Alkohol kreiste durch ihre Adern, ihr Kopf fühlte sich so wunderbar schwerelos an, dass sie Kiaras Idee für großartig hielt.
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