Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
ermutigend auf die Schulter. „Sie sind ein bisschen übergewichtig und sollten sich mehr bewegen“, riet er, mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache. Sein Dienst dauerte nun schon fast zwölf Stunden, er spürte die Müdigkeit in allen Gliedern. Nicht alle Fälle, die in dieser Zeit hereingekommen waren, hatten sich als so unbedenklich erwiesen wie der des Restaurators, der vor ihm stand und sich todkrank wähnte. Er selbst hatte mit diesem Patienten noch nicht zu tun gehabt, aber der Schwester in der Aufnahme war der Name Altmühl geläufig. ‚Ein Hypochonder wie aus dem Lehrbuch‘, hatte sie ihm zugeflüstert. Mit Blaulicht sei er allerdings bisher noch nie eingeliefert worden.
„Ich habe Sehstörungen gehabt. Konnte mich kaum auf der Leiter halten“, protestierte Felix. Er wollte sich nicht so einfach abwimmeln lassen. Es ging um seine Gesundheit, vielleicht um sein Leben, verstand das der Weißkittel nicht?
„Das kann vielerlei Ursachen haben“, antwortete der ungerührt. „Ich denke, Sie sind, wie viele Leute, lediglich ein bisschen überarbeitet. Das kann sich in solchen Symptomen zeigen. Vielleicht brauchen Sie auch nur eine Brille.“ Verabschiedend reichte der Arzt Felix die Hand, doch der gab noch nicht auf.
„Was ist mit dem Herzrasen und dass ich mich nicht mehr bewegen konnte?“
„Sie haben wahrscheinlich zu heiß gebadet, das treibt den Kreislauf hoch. Für Menschen mit Herzproblemen kann das gefährlich sein. Bei Ihnen glaube ich das zwar nicht, trotzdem sollten Sie es nicht übertreiben. Sie haben sich in eine Panikattacke hineingesteigert, der Kopf hat Ihre geheimen Ängste umgesetzt. Ganz klar eine psychosomatische Reaktion.“
Dieser Arzt hatte wirklich immer die passende Antwort zur Hand. Felix sah ihn mit verzweifeltem Blick an. „Ich habe nachgelesen. Es könnten Anzeichen für einen Schlaganfall gewesen sein. Können Sie es verantworten, wenn ich ganz allein zu Haus in der Nacht von einem neuen Anfall heimgesucht werde?“, fuhr er sein schwerstes Geschütz auf.
Es verpuffte wirkungslos.
„Lieber Herr Altmühl“, sprach der Arzt jetzt mit kaum verborgener Ungeduld auf ihn ein, als sei der Patient schwer von Begriff, „ich wiederhole noch einmal: Wir haben alle möglichen Untersuchungen durchgeführt. Es gibt nicht das kleinste Anzeichen dafür, dass Sie sich Sorgen um Ihre Gesundheit machen müssen. Ich rate Ihnen: Lassen Sie die Hände von medizinischen Fachbüchern und lesen Sie künftig keine Beipackzettel von Medikamenten mehr, dann können Sie hundert Jahre alt werden. – und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Dringende Fälle warten auf Behandlung.“
Unfähig ein Wort zu erwidern, sah Felix dem Arzt hinterher. Als eine Schwester auf ihn zutrat und fragte, ob er abgeholt werde oder ob sie ihm ein Taxi rufen solle, bat er um das Letztere.
IX
Die „Sonderbar“ lag versteckt in einem Hinterhof. Efeu rankte sich am Mauerwerk entlang und bot nicht nur Unterschlupf für mehrere Spinnenarten, sondern verhinderte auch, dass Tageslicht in den Raum drang. Zahlreiche Gäste saßen am Tresen und an den Tischen. Nur ein kleines, rundes Tischchen mit einer flackernden Kerze, das in der Zugluft neben der Tür stand, war noch frei. Offenbar war das Wissen um die guten Cocktails zur Happy Hour in diesem Etablissement in Berlin kein Geheimnis mehr.
Kiara und Myrtel setzten sich an den einzigen noch freien Tisch. Sie hatten auf dem Weg hierher kaum gesprochen, nur mal kurz über den Verkehr geschimpft und eine Ampel verflucht, die eine viel zu kurze Grünphase zeigte; ansonsten wirkten sie eher etwas angespannt und fremd zueinander.
„Was wollen Sie trinken?“, fragte Kiara die ältere Kollegin, die sie zu diesem Treffen eingeladen hatte.
„Irgendwas mit viel Alkohol drin“, antwortete diese. „Und was Fruchtiges. Aber nicht zu süß. Bitte“, fügte sie schnell hinzu. Ihr war ein wenig unbehaglich zumute, mit der Neuen auszugehen. Wahrscheinlich hatten sie sich überhaupt nichts zu sagen und saßen nur stumm beieinander, bis das Glas leer war. Aber immerhin hatte sie dann wenigstens die Hälfte des Abends schon erfolgreich rumgebracht.
„Das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal“, schmunzelte Kiara. „Da würde ich Ihnen unbedingt einen Latin Lover empfehlen.“
Myrtel runzelte fragend die Stirn. „Meinen Sie, ich bräuchte einen Mann?“
Kiara lachte herzlich. „Nein, so heißt der Cocktail. Darin ist ordentlich Alkohol: Tequila und Cachaça,
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