Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
verantwortlich.“ Erwählte eine neue Nadel aus und stach sie in den Bogen zwischen Halsende und Schlüsselbein, während er erklärte: „Durch die Stiche in spezielle Akupunkturpunkte wird dieses Manko ausgeglichen. Fühlen Sie den magnetischen Strom, der vom kleinen Zeh bis zum Scheitelpunkt ihres Kopfes fließt? Fühlen Sie ihn?“.
„Ja ..., aber ...“, versuchte Felix erneut, sich von den ihn einlullenden Worten nicht übermannen zu lassen. Irgendwie war ihm das Gebaren des Naturheilers nicht ganz geheuer. Mit den langen Nadeln im Körper kam er sich wie ein Igel vor, fühlte augenblicklich jedoch tatsächlich nicht den geringsten Schmerz. Trotzdem hätte er lieber etwas Handfestes gehabt, mit dem er sich diese Wirkung erklären konnte. Glauben, dachte er verächtlich, glauben tut man in der Kirche. Nicht mal einen Sud aus den Heilkräutern, die im Behandlungszimmer herumhingen und ihren herben Duft verbreiteten, hatte ihm der Doktor eingeflößt. Er behalf sich mit Nadeln und Worten. Insgeheim beschloss er jedoch, noch ein Weilchen abzuwarten, schließlich hatte ihm der Arzt schnelle Heilung seiner Leiden versprochen.
Dirk Nieburg entging das innerliche Sträuben des Patienten nicht. Es würde schwieriger als gedacht werden, das Behandlungsziel zu erreichen, wenn Altmühl so wenig kooperativ blieb. Doch ans Aufgeben dachte der Naturmediziner nicht. Im Gegenteil würde sich ein komplexer Fall in seiner Studie ausnehmend gut machen. Er schenkte dem auf der Liege Ausgestreckten ein aufmunterndes Lächeln. Es würde schon werden. Es gab Menschen, die mussten eben zu ihrem Glück gezwungen werden.
Dirk Nieburg wandte sich ab, um die unbenutzten Nadeln in einem Kästchen zu verstauen. Nur gut, dass der hypochondrisch Veranlagte vor ihm nicht ahnte, dass er bei ihm eine Art Scheinakupunktur anwendete, bei der statt in die vorgesehenen Meridianpunkte, irgendwohin gestochen wurde, was jedoch nicht weniger wirksam war als eine nach traditionellen Regeln durchgeführte Akupunktur. Darüber hatte Nieburg bei Kapazitäten wie Jules Germain Cloquet und anderen Franzosen nachgelesen, die im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts auf diesem Gebiet geforscht hatten. Ihr Wissen, das bei den Verfechtern der Schulmedizin weitgehend in Vergessenheit geraten war, bildete eine der Grundlagen für sein neuestes Studienprojekt.
„Heute habe ich leider gleich nach Ihrem Termin einen weiteren Patienten. Beim nächsten Mal halte ich mehr Zeit frei, dann beginnen wir mit dem zweiten Schritt und versuchen es zusätzlich mit Hypnose“, bereitete er Altmühl auf die kommende Behandlung vor. „Und jetzt ruhen Sie sich etwas aus.“
Dirk Nieburg verschwand hinter einem Vorhang, der das Behandlungszimmer bei Bedarf teilte. Gleich darauf füllte eine harmonische Melodie, die das Rauschen von fließendem Wasser, das Zwitschern von Vögeln und andere Töne aus der Natur untermalte, den Raum.
Gehorsam schloss Felix die Augen und versuchte, nicht an die zahlreichen Nadeln in seiner Haut zu denken, sondern der Anordnung des Arztes nachzukommen.
Der dritte Termin, den Altmühl an diesem Tag wahrnahm, gab ihm schlichtweg den Rest. Hatte er sich auf Yvonnes Massage gefreut und deren Tun mit Behagen aufgenommen, so war die Behandlung bei dem Bio-Doktor, wenn auch notwendig, so doch schon viel weniger nach seinem Geschmack gewesen. Was tat man nicht alles für seine Gesundheit!? Aber was ihm der Trainer im Fitnessraum hier anbot, war wirklich das Letzte. Nur gut, dass sie zu zweit waren und kein Unbefugter zusehen konnte.
Seit zehn Minuten lag der Restaurator auf einer Matte und ahmte widerwillig die Übungen nach, die der junge durchtrainierte Mann vorturnte. Arme heben, Beine heben, Knie anbeugen und an den Bauch ziehen. Arme und Beine wegstrecken und wieder beugen. Das hatte er doch während der ersten Übungsstunde alles schon getan. Jetzt reichte es!
Widerspenstig setzte Felix sich auf. Er wollte Muskeln aufbauen und keine Seniorengymnastik absolvieren! Verdrießlich musterte er den kleinen Raum, an dessen Stirnseite eine Sprossenwand angebracht war, ansonsten nur unnützes Zeug wie Medizinbälle, Keulen und Reifen herumlag. Was sollte er hier?
„Wann kann ich an die Geräte“, fragte er ungeduldig.
Leon, dem man den unbequemen, aber zahlungskräftigen Kunden, der eine Menge Geld für seine Gesundheit ausgab, aufgehalst hatte, sah sein Gegenüber erstaunt an.
„Sie hatten sich für einen Kurs zur Kräftigung der Rücken- und
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