Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
fügte eine Erklärung hinzu: „Lea ist meine kleine Schwester.“ Mit überzeugender Geste legte sie ihren Arm um die Tochter, um sie an sich heranzuziehen und ihr damit klarzumachen, dass sie mitspielen solle. „Unsere Mutter hatte eine kleine Pause eingelegt, bevor sie es sich überlegt hat, noch ein Kind zu bekommen.“
Myrtel winkte ab. „Ist ja auch kein Pappenstiel, ein Kind großzuziehen, habe ich gehört.“
Lea begriff nun endlich und schmiegte sich an ihre Mutter, um das Spiel mitzumachen. „Ich verstehe mich super mit meiner Schwester“, sagte sie mit glaubhafter Stimme. „Sie ist fast so etwas wie eine zweite Mutter für mich.“
„Ich habe auch eine Schwester“, antwortete Myrtel und setzte sich zu den beiden. „Aber die wohnt weit weg. Ich vermisse sie manchmal.“ Myrtel seufzte.
„Meine Schwester wohnt direkt im Zimmer nebenan“, erzählte die Kleine munter weiter. Kiara konnte sehen, wie Lea das Spiel auf einmal genoss. „Allerdings hat Kiara das größere Zimmer. Ich denke aber, ich hätte es viel mehr verdient, weil ich doch viel mehr zu Hause bin als sie. Oder was meinst du, Kiara? Kann ich dein Zimmer bekommen, Kiara?“ Sie betonte den Vornamen ihrer Mutter extra stark und hob dabei mit Unschuldsmiene ihre Augenbrauen. Offensichtlich wollte sie die Situation zu ihrem Vorteil nutzen.
„Das klären wir noch“, erwiderte Kiara und versuchte, ihrer Stimme Leichtigkeit zu verleihen.
„Ja, das klären wir noch. Wie auch das mit deiner Bluse, die mir so gefällt und die ich auch gerne tragen möchte und die du enger machen wolltest.“
Kiara verzog den Mund. Sie besaß tatsächlich eine Bluse, die Lea außerordentlich gefiel, aber viel zu groß für die Zehnjährige war. Kiara hatte ihr mal versprochen, sie enger zu machen, damit Lea sie tragen konnte, ihr Versprechen aber noch nicht gehalten.
„Ich mache es ja“, antwortete sie. „Irgendwann finde ich Zeit dafür.“
„Sie muss viel arbeiten“, erklärte Lea naseweis Myrtel, die das Gespräch interessiert verfolgte. „Es ist nicht schön, wenn die eigene Schwester ständig bei der Arbeit ist und sich nicht um ihre kleine Schwester kümmern kann.“ Sie ließ wirklich bei jeder Gelegenheit das Wort „Schwester“ fallen.
„Ich weiß. Ich bin Kiaras Vorgesetzte.“
„Wirklich?“ Lea war überrascht. „Dann können Sie vielleicht dafür sorgen, dass ich mehr von meiner Schwester habe?“
„Dann müsste ich ja mehr arbeiten, und das möchte ich auch nicht“, konterte Myrtel.
„Aber Sie könnten dafür sorgen, dass sie wenigstens immer am Abend zu Hause ist, damit ich etwas mit meiner Schwester unternehmen kann?“
„Lea, willst du nicht ein bisschen spazieren gehen?“, fragte Kiara ihre Tochter, da sie merkte, dass das Gespräch einen unangenehmen Verlauf zu nehmen drohte. „Du könntest dort den Hund streicheln.“ Sie deutete auf einen kleinen weißen Köter, der brav neben seinem Frauchen saß und darauf wartete, dass die alte Frau mit ihrem Schwatz an der Seite eines feschen Mannes fertig wurde.
„Nein!“, rief die Kleine empört. „Was interessiert mich ein Hund, wenn ich eine Schwester habe. Schwestern sind viel spannender!“
Myrtel runzelte irritiert die Stirn. Offenbar war das etwas zu dick aufgetragen.
Kiara tätschelte entschuldigend Leas Kopf. „Lea muss für die Schule zu viele Hausaufgaben machen, da wird sie manchmal etwas seltsam. Hör nicht darauf, ich tu es auch nicht“, erklärte sie, um Myrtel nicht misstrauisch zu machen. In ihrem Inneren tat es ihr leid, dass sie die Kollegin belog, weil sie sich gerade erst angefreundet hatten. Aber es war einfacher, wenn sie nicht alles würde erklären müssen. Myrtel hatte ihre eigenen Probleme, sie musste nicht auch noch von Kiaras Schwierigkeiten erfahren. Zudem müsste sie ihr dann die nächste, noch größere Lüge aufbinden.
„Apropos Hausaufgaben“, rief Lea. „Als meine große Schwester könntest du ruhig ein paar davon für mich erledigen, damit ich nicht mehr so seltsam im Kopf bin.“
„Nein, nein, meine Liebe, das erledigst du schon selbst. Du musst was lernen, damit aus dir mal was Richtiges wird.“
„Ach“, schmollte Lea, „du redest ja schon fast wie meine Mutter. Vielleicht bist du ja sogar meine Mutter und ich weiß es nur nicht!?“
Kiara wollte ihr einen warnenden Blick zuwerfen, als ein Schatten auf die beiden fiel.
„Hier kommt euer Eis“, sagte Franziska Jonas. In den Händen hielt sie zwei Tüten mit
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