Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
Angestellte das Gewünschte in die Kabine.
Jetzt saß alles perfekt.
Nachdem ihr Blick eine ganze Weile zufrieden an ihrem Spiegelbild gehangen hatte, schlüpfte Myrtel wieder in ihre alten Sachen. Ohne einen Gedanken an den exorbitanten Preis zu verschwenden, den der Designer für seine Kreation verlangte, trat sie zurück in den Verkaufsraum der Boutique. An einem Ständer mit Seidentüchern blieb sie stehen und betrachtete das Angebot. Ihre ringgeschmückten Finger glitten liebkosend über das zarte Gewebe. Schließlich wählte sie einen Schal in einem Mix aus gedeckten, aber freundlichen Farben aus, der hervorragend zu dem Kostüm passte. Als sie in der Auslage an der Kasse noch eine geschmackvolle Brosche für das Revers der Jacke fand, war ein Monatsgehalt endgültig dahin.
Mit zwei Tüten in der Hand verließ Myrtel das Modegeschäft. Am liebsten hätte sie zufrieden vor sich hin gesummt, aber zu viele Menschen schwirrten um sie herum. Die Einkaufpassage, zu der der Laden gehörte, war gut besucht. Ein Strom von Menschen drängte ununterbrochen die Gänge entlang. Passanten verschwanden in den Läden oder kamen mit Tüten und Taschen beladen heraus, um sich erneut in das Gedränge einzureihen. Myrtel hielt nach einem Schuhgeschäft Ausschau. Zu dem neuen Outfit waren hochhackige Pumps geradezu ein Muss. Außerdem tat es gut, statt tagtäglich die Wünsche der anspruchsvollen Kunden im Club zu erfüllen, selbst einmal Kundin zu sein und die eigenen Bedürfnisse erfüllt zu sehen. Das wollte sie an ihrem freien Tag auskosten.
Zwei Stunden später befanden sich, neben dem Designer-Kostüm mit Accessoires, zwei Paar Schuhe und eine passende Handtasche in ihrem Besitz. Und ihre Kreditkarte brummte von der Anstrengung, zu der sie heute ausnahmsweise getrieben wurde.
Myrtel lief weiter, vor den Auslagen einer Parfümerie blieb sie stehen und überlegte, ob sie sich in einem der zahlreichen kleinen Cafés der Einkaufspassage eine Verschnaufpause gönnen sollte. Einem Eiskaffee oder einem Mocca mit einem leckeren Stück Kuchen war sie nicht abgeneigt. Warum auch? Es hetzte sie niemand. Es war Wochenende. Sie hatte heute alle Zeit der Welt.
Während sie noch das Für und Wider einer kalorienreichen Sahnetorte gegen das eines etwas figurbewussteren Obstkuchens abwog, wurde wie auf Stichwort wenige Meter vor ihr ein Tischchen frei. Sie zögerte nicht und ließ sich daran nieder. Der Bedienung, die sofort erschien, teilte sie ihren Wunsch mit. Sie hatte sich für einen Kompromiss, ein Stück Obsttorte entschieden.
Während Myrtel auf das Bestellte wartete, beobachtete sie die Vorübergehenden.
Es waren zumeist Frauen, die die Geschäfte ringsum unsicher machten. Auch viele junge Leute entdeckte sie in der Menge. Hin und wieder kam ein Pärchen Hand in Hand vorbeigeschlendert, mehr an sich selbst als an dem Konsumangebot interessiert. Myrtel hatte zwar das Gefühl, die meisten Kaufwütigen müssten in ihrem Alter oder darüber hinaus sein, aber das täuschte. Selektive Wahrnehmung – man sah nur das, was einen selbst betraf. So wie sie eine Zeit lang in vielen Gesichtern nach Spuren von Krankheiten gesucht hatte und sie auch zu finden glaubte. Aber zum Glück hatte sie das inzwischen abgelegt. Jetzt konnte sie die Menschen betrachten, ohne Missgunst oder Neid über deren Glück zu spüren oder nach Leidensgenossinnen zu suchen.
Myrtel seufzte ein wenig neidisch auf, als sie ein jung verliebtes Pärchen sah, das turtelnd an den schönen Auslagen vorüberging, als wären sie gar nicht vorhanden. Wo waren sie hin, ihre Tage der Jugend, als nichts zählte, als das nächste Date mit dem Geliebten? Damals war sie wunderschön und Dieter noch ein schlanker Jüngling mit, nach der Mode getragenem, wehendem, schulterlangem Haar gewesen.
Der Gedanke an den Ehemann, der sich verdrückt hatte und sie feige mit ihrem Leiden alleinließ, verdarb Myrtel einen Moment lang die gute Laune. Doch schnell rief sie sich den gestrigen Abend ins Gedächtnis zurück. Das Dating-Portal, in dem sie nach einer passenden Bekanntschaft auf die Pirsch gegangen war. Wie ein Blitz hatte es bei ihr eingeschlagen, als sie nach langem, vergeblichem Suchen den Mann ihrer Träume vor sich sah.
Schon in der Schulzeit hatte sie auf Robert-Redford-Typen gestanden: groß, blond mit blauen Augen und jungenhaftem Charme. Myrtel lachte leise in sich hinein. Robert Redford!? Ein alter Mann! Heute schwärmten die jungen Frauen sicher für Brad Pitt, Ryan
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