Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
hinaufkriechen. Sie legte wirklich Wert darauf, immer aufrichtig zu sein, und sagte stets die Wahrheit. Es gab nur diese eine Sache, über die sie nicht sprechen wollte. Und die hatte mit dem Stempel der Muschel auf der Hand zu tun.
„Er war aber süß“, fuhr Samira ihren Redeschwall fort. „Du solltest zugreifen. Ich bin schon vergeben, sonst würde ich ihn nehmen, aber du nicht.“
„Bei wem sollte sie zugreifen?“, fragte auf einmal eine Männerstimme neben dem Tisch. Holger war zu ihnen getreten. Er trug einen karierten Mantel, eine rote Mütze und Handschuhe, obwohl es schon fast frühlingshaft draußen war.
„Da war ein süßer Fitnesstrainer, aber egal. Ich habe gewonnen!“ Samira sprang auf und umarmte Holger, der gar nicht wusste, wie ihm geschah. Er hielt sich am Tisch fest, als Samiras Schwung ihn nach hinten zu drücken drohte. Dabei erwischte er leider das Tischtuch, das er samt Salzstreuer, Salzstangen und Kerze, die als Dekoration darauf standen, vom Tisch fegte.
Samira ließ sofort wieder von ihm ab. Er beugte sich hinunter, um den Schaden zu beheben. Eilig sprang Kiara auf, um ihm zu helfen. Er sah sie verlegen an.
„Tut mir leid, ich habe ihre Begeisterung nicht kommen sehen.“
„Schon gut. Man muss heute bei ihr auf alles gefasst sein.“
Er lächelte sie an, dann stand er auf, nicht ohne sich den Kopf am Tisch zu stoßen.
„Autsch.“ Aber niemand achtete darauf.
Kiara setzte sich wieder, während Holger sich den Mantel, Mütze und Handschuhe auszog. Samira war zur Tür geeilt, wo zwei große, schlanke junge Frauen eintraten, die sich verblüffend ähnlich sahen und auch Ähnlichkeit mit Samira aufwiesen. Sie sahen etwas älter aus als sie, waren aber genauso schön.
„Hallo Anäis, hallo Agathe, schön, dass ihr so schnell gekommen seid. Ich habe gewonnen! Ich hab‘s euch immer gesagt, dass ich eines Tages Model werde!“
„Ja, das hast du. Mama ist allerdings nicht ganz so glücklich wie du.“
„Ich weiß, aber damit muss sie leben.“
Die beiden Frauen begrüßten Holger und Kiara freundlich, dann setzten sie sich zu ihnen an den Tisch.
Samira bestellte ihnen schnell einen Drink, bevor sie sich neben ihnen niederließ. Glücklich seufzte sie und sah jedem ruhig in die Augen.
„Das ist ein denkwürdiger Moment. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass wir zusammen hier sitzen und etwas trinken. Jedenfalls ich als Nicht-Model. Wenn wir uns dann wiedersehen, werde ich sicherlich schon auf den Laufstegen dieser Welt beheimatet sein.“ Sie seufzte erneut glücklich.
„Nun mach mal halblang, Schwesterchen“, sagte beruhigend eine der beiden großgewachsenen jungen Frauen, Anäis oder Agathe, das war nicht so genau zu bestimmen, sie sahen sich einfach zu ähnlich. „Wer weiß, vielleicht merken sie, dass du überhaupt kein Talent hast und schicken dich gleich wieder zurück nach Hause.“
„Oder sie verstehen dich nicht bei deinem schlechten Englisch“, fügte die andere Schwester hinzu. „Ich habe dich schon radebrechen hören, das ist keine Freude.“
„Ach, das lerne ich schon noch“, winkte Samira ab. Sie war durch nichts von ihrer Freude abzubringen. „Dieses Jahr dient ja dazu, mich darauf vorzubereiten. To preparation!“ Die beiden englischen Begriffe betonte sie überdeutlich.
„Schon wieder falsch“, meinte die Schwester, die neben Holger saß. „Aber egal. Was genau hast du denn eigentlich gewonnen?“
„Ein Jahr Aufenthalt in Los Angeles in einem Tophotel, dazu eine Ausbildung zum Model bei einer der bekanntesten Agenturen. Dazu kommt ein Vertrag mit einem angesagten Designer, Coverfoto-Shootings, mehrere Auftritte als Model, was eben so dazugehört.“
Sie lächelte wieder glücklich und sah triumphierend in die Runde.
„Hast du den Vertrag schon in der Hand?“, fragte plötzlich ihr Freund Luca dazwischen, der mit einem Tablett voller Getränke am Tisch stand und die Gläser verteilte.
„Der wird mir in den nächsten Tagen zugeschickt.“
„Na, hoffentlich kommt nichts dazwischen“, mutmaßte die andere Schwester.
Zum ersten Mal huschte ein Schatten über Samiras Gesicht.
Kiara legte ihre Hand beruhigend auf die der Freundin. „Es wird schon alles klappen. Der Laden kann sich schlechte Publicity nicht leisten. Du bist bald in Los Angeles.“
Samira nickte dankbar und holte tief Luft. Dann hob sie ihr Glas.
„Auf meine Karriere als Model. Und darauf, dass ihr mich nicht zu sehr vermisst.“
Sie lächelte wieder.
„Darauf
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