Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
Kleinen einen weiteren Kuss und kroch zurück in ihr Bett, wo die Erinnerungen an die Nacht und den Täter sie quälten und immer stärker wurden. Nur an sein Gesicht konnte sie sich partout nicht erinnern.
IX
Lea Jonas galt eigentlich als ein liebes und geduldiges Kind. Aber an diesem Abend kurz nach dem Wettbewerb riss ihr doch endlich einmal der Geduldsfaden.
„Mama, du hast mir schon vor Wochen versprochen, dass wir zusammen ins Kino gehen, in die späte Nachmittagsvorstellung, und du hast schon wieder keine Zeit dafür“, rief sie empört ins Telefon.
„Ich weiß, meine Butterblume, aber ich bin für eine kranke Kollegin eingesprungen und werde die Spätschicht übernehmen. Es tut mir so leid, aber ich muss heute arbeiten. Ich kann es nicht ändern.“
Sie klang wirklich reuig, aber das nützte der Kleinen ganz und gar nichts, wenn es um die Kinovorstellung ging, die sie schon seit einer gefühlten halben Ewigkeit besuchen wollte.
„Bald läuft der Film nicht mehr, dann ist es zu spät“, beharrte sie ungeduldig.
„Dann sehen wir ihn uns eben auf DVD an“, versuchte ihre Mutter sie zu beruhigen.
„Aber ich möchte ihn gerne im Kino sehen!“ Lea war den Tränen nahe. „Das ist doch etwas Besonderes.“
„Ich weiß, Liebes, ich weiß. Und morgen? Wollen wir morgen gehen?“
„Morgen Nachmittag habe ich Turnen und Tanzen, das weißt du doch.“
„Und wenn du es mal schwänzt?“
„Nein, das geht nicht, weil wir bald die große Aufführung haben. Da müssen wir noch viel üben. Außerdem macht es mir Spaß.“
„Ich verstehe. Willst du dann vielleicht mit Oma gehen?“
Die Kleine schwieg einen Moment. „Das kann ich machen. Ich dachte nur, du willst vielleicht auch mal etwas mit mir unternehmen.“ Die Zehnjährige fügte noch ein kurzes Tschüss hinzu, dann legte sie auf.
„Das will ich auch“, entgegnete Kiara, doch da sprach sie schon mit dem Besetzzeichen. Perplex starrte Kiara ihr Handy an.
„Schlechte Nachrichten?“, fragte Holger, der die ganze Zeit neben ihr im Schwesternzimmer gestanden, aber so getan hatte, als wäre er mit der Kaffeemaschine beschäftigt. „Du siehst so aus, als hätte dir das Handy gerade ein Bild deines toten Urgroßvaters gezeigt.“
„Meine Tochter benimmt sich schon ganz wie eine Große. Von wem sie das nur hat? Von mir bestimmt nicht.“
„Was sagt sie denn?“
„Sie beschwert sich, dass ich zu wenig Zeit für sie habe. Aber ich kann es doch nicht ändern, wenn meine Schichten so ungünstig gelegt werden oder ich den Dienst anstelle einer kranken Kollegin übernehmen muss.“ Klagend hob sie die Hände.
„Wenn du der Oberschwester Opernkarten schenkst, legt sie deine Schicht so, wie du willst. Versuchs mal!“ Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
„Woher weißt du das?“, fragte Kiara verwundert.
„Ach, das habe ich mal durch Zufall erfahren“, meinte Holger schnell, weil er nicht wollte, dass Kiara merkte, dass er seine Schichten immer nach den ihren ausrichtete, und widmete sich hastig wieder der Kaffeemaschine. „Willst du Kaffee?“
„Nein danke, ich schlafe schon schlecht genug.“
„Warum?“
Dieses Mal wollte Kiara nicht, dass er erfuhr, was in ihr vorging. „Ach, nur so. Muss der Mond sein.“
„Kommst du zu Samiras Abschiedsparty?“, fragte er schließlich.
„Nur wenn sie am Nachmittag stattfindet und ich Lea mitnehmen kann.“
„Das wird sie sicherlich so einrichten. Ich habe gehört, sie hat ganze Festspiele geplant.“
Kiara lächelte. „Ja, das hat sie. Sie hat ihr Visum inzwischen beantragt. Bald geht es los. Sie ist schon ganz schön aufgeregt. Ich habe sie heute Vormittag getroffen.“
Sie erzählte ihm nicht, dass sie darüber nachgedacht hatte, die Freundin um Rat zu bitten, was sie mit dem Wissen um die Muschel und den Club anstellen sollte, doch letztlich nicht dazu kam, da Samira unentwegt von ihrem Amerika-Aufenthalt plapperte. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie eigentlich gar nicht den Mut, die Freundin einzuweihen. Also ließ sie sie reden und die Reise planen, ohne die Vorfreude mit ihren Sorgen zu belasten oder gar zu zerstören.
„Das ist schon ein Ding, dass sie gewonnen hat“, meinte Holger.
„Ja, das ist es“, erwiderte Kiara abwesend.
Holger merkte, dass die Kollegin nicht ganz bei der Sache war. Verlegen trat er zur Seite.
„Dann geh ich mal zurück zu den Kranken“, sagte er und schlich zur Tür.
„Ja, ich auch.“
Kiara folgte ihm. Die sehnsüchtigen Blicke,
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