Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
ihr da oben?“, fragte sie.
Sie lauschte in die Nacht, aber außer dem Rauschen der Stadt und dem Lärm von den Passanten auf den Straßen war nichts zu hören.
Sie lehnte ihren Kopf an die Hauswand. „Könnt ihr mir sagen, wie es ist, tot zu sein? Oder wie es ist zu sterben? Tut es weh? Wie ist es, wenn es vorbei ist? Dauert es lange? Was passiert danach?“
Noch immer erfolgte keine Antwort. Der Himmel schwieg.
Sie blickte wieder auf die Straßen herab, in denen das Leben tobte. Würde sie die Operation und die Chemo alleine überstehen? Wie würde es sein, wenn ihr niemand zur Seite stand? Der Arzt hatte gesagt, sie solle sich schnell entscheiden, damit sie es schaffen konnte. Sie lauschte in ihren Körper, ob dieser ihr ein Signal gab, dass es höchste Zeit war. Aber auch er blieb stumm. Und sie hatte noch immer keine Ahnung, wie sie diese Zeit alleine durchstehen sollte!
Sie dachte an die Wahrsagerin vom Jahrmarkt und deren lächerliche Prophezeiung. Als ob sie in diesem Zustand die große Liebe kennenlernen würde! Das war solch ein Unsinn. Und selbst wenn, wie sollte sie die genießen, wenn sie nur damit beschäftigt war, den Krebs in den Griff zu bekommen?
Sie sah wieder hinauf in die stummen Sterne. Und wenn sie einfach aufgab? Wenn sie den Kampf nicht ein drittes Mal aufnahm, sondern den Krebs einfach wuchern ließ, bis er sie besiegte? Dann hätte sie nur noch ein Jahr zu leben, ein Jahr ohne Chemo, ohne künstlichen Darmausgang, ohne Sorgen, wie es weitergehen würde.
Ein Windstoß fuhr unter ihre dünne Bluse und ließ sie frösteln. Sie stand auf und ging hinein. Die Tür schloss sie fest hinter sich.
Dann lief sie zum Telefon und wählte die Nummer von Doktor Loträger.
Er klang müde, als er an den Apparat ging.
„Sie haben gesagt, ich könne Sie jederzeit anrufen“, entschuldigte sie sich.
„Das ist richtig. Was kann ich für Sie tun.“
„Ich habe mich entschieden“, sagte sie. „Aber anders.“
***
Kurz vor Mitternacht hatte Holger einige weitere Gläser Wodka mit Cola zu sich genommen. Kiara hatte Lea ins Bett gebracht, war aber zur Party zurückgekehrt. Sie stand mit Samira inmitten einer Gruppe junger Männer, die dem Model alles Gute wünschten. Einer nahm Samira in den Arm.
„Du wirst uns so fehlen“, sagte er und presste seinen Kopf an ihre Schulter, bis Luca dazwischenging und die beiden trennte.
„Das ist meine Freundin, der du da gerade am Busen hängst“, sagte er. Auch er hatte schon den einen oder anderen Drink zu viel genommen und lallte ein wenig.
Daher wurde er von den anderen nicht mehr so richtig ernstgenommen, und der nächste umarmte Samira zum Abschied.
„Du wirst mir mal schreiben, ja?“, fragte derjenige, ein schlaksiger Bursche mit langen Haaren, die er in einem Zopf geflochten trug.
„Ganz sicher. Ich schicke euch regelmäßig SMS. Oder E-Mails“, erwiderte sie. „Auch mit Fotos. Von den Laufstegen. Jeden Tag. Wenn ich dazu komme.“
Samira hatte trotz aller Aufregung ebenfalls zu tief ins Glas geschaut und Mühe, sich auf ihre Sätze zu konzentrieren. Daher fielen sie etwas kurz und wie abgehackt aus.
Der Junge mit dem Zopf hatte eine Träne in den Augen. „Ich werde dich wirklich vermissen.“
Wieder ging Luca dazwischen. „Sie wird euch alle vermissen, aber am meisten wird sie mich vermissen.“
Samira nickte und öffnete ihre Arme, als würde sie die Jungs segnen wollten. „Ihr werdet mir so fehlen. Jeder von euch.“ Dann wandte sie sich an Luca. „Aber du. Du wirst mir natürlich am meisten fehlen.“
Er wollte in ihre Arme fallen, aber sie hatte sie schon wieder gesenkt und wandte sich an Kiara.
„Du wirst mir auch fehlen. Ehrlich. Du hast mich gerettet. Meine Retterin.“ Sie schloss nun Kiara in die Arme. „Danke nochmals. Vielen Dank.“
„Ich wünsche dir alles Glück dieser Erde“, sagte Kiara in das Haar ihrer Freundin, das vor ihrem Gesicht hing. „Ich wünsche dir, dass du dort den Hauptgewinn ziehst und die große Karriere machst. Ich werde jeden Tag an dich denken. Und ich hoffe, du schreibst wirklich mal.“
„Ganz sicher. Dir schreibe ich. Ganz sicher.“
Anäis und Agathe waren herangetreten und lächelten spitz. „Lasst euch nicht von ihr einlullen. Sie tut nur so. In Wahrheit ist sie heilfroh, hier wegzukommen. Sie redet von nichts anderem.“
Samira drehte sich zu den Schwestern um und streckte ihnen die Zunge heraus. „Das ist gar nicht wahr. Es tut mir schon leid. Aber von euch
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