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Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Titel: Tempel der Träume - Der Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marthens
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verschlafen! Ohne zu zögern stürzte sie ins Bad. Den Notar-Termin musste sie um jeden Preis schaffen. Ihr blieb dafür eine gute Stunde Zeit.
    Aus dem Spiegel über dem Waschbecken schaute sie ein bleiches, müdes Gesicht mit Schatten unter den Augen an, doch war wenigstens der Kopfschmerz fast verschwunden.
    Statt wie sonst zu resignieren, entschloss sie sich zu einer Radikalkur. Die hatte sie vor fast dreißig Jahren angewandt, wenn es in der Disco statt spät, früh geworden war und sie mit drei, vier Stunden Schlaf hatte auskommen müssen. Ohne zu zögern stieg Myrtel in die Dusche und drehte den Wasserhahn auf. Zuerst ließ sie lauwarmes Wasser über Gesicht und Körper rinnen, dann ließ sie entschlossen das warme Wasser weg, bis ihr der eiskalte Strahl die Luft aus den Lungen drückte. Aber es half. Als sie sich gleich darauf abtrocknete und in frische Wäsche schlüpfte, fühlte sie sich hellwach und erfrischt. Wenigstens für den Moment.
    Nach dem eilig aufgelegten Makeup brauchte sie den prüfenden Blick in den Spiegel nicht mehr zu scheuen. Wenn auch nicht gerade strahlend, so zeigte ihr Gesicht mit dem frisch geföhnten und fransig in die Stirn gekämmten Haar einen optimistischen Ausdruck, der sie jünger wirken ließ. Doch vor sich selbst musste sie zugeben, dass es vor allem die Genugtuung war, die sie verspürte, als sie an Dieters Enttäuschung dachte, wenn der das Testament vorgelegt bekam. Vielleicht sollte ich ihm einen Berg Schulden hinterlassen, dachte sie, als sie nach dem Autoschlüssel griff und die Wohnungstür hinter sich zuzog.

III
     
     
     
    Das Gebäude sah aus wie ein erhobener, mahnender Zeigefinger. Jack Logan kniff die Augen zusammen, um es durch das Fenster besser erkennen zu können. Das Glas des Turms funkelte und glitzerte in der Sonne.
    Frank Diggleston bemerkte seinen Blick. „Das Shard ist das höchste Gebäude in London. Sogar das höchste in Europa.“ Stolz schwang in der Stimme des Mannes mit.
    Jack riss sich von dem Anblick los und nickte beifällig. „Ich weiß, ich war dort bereits auf der Spitze und habe mich mit dem Duke von York, Prinz Andrew, abgeseilt. Ein unvergessliches Erlebnis.“ Er lächelte in Erinnerungen versunken.
    Sein Gegenüber, der Geschäftsführer des Londoner Wellness-Clubs „Pour Elles“, zog beeindruckt die Augenbrauen nach oben. „Das wusste ich nicht. Alle Achtung!“
    Auch Sandy Wells, verantwortlich für die Public Relations des Clubs, und eine unscheinbare Sekretärin, die stocksteif neben der Tür stand, schienen von Jacks Worten imponiert. Nur Lothar Richardson, Jacks PR-Manager, lehnte unbeeindruckt an einer Stuhllehne. Er kannte bereits jedes von seinen Abenteuern.
    Jack ertappte sich dabei, wie er erneut zu dem hohen Gebäude starrte, das seit wenigen Jahren das Stadtbild Londons prägte. Seine Gedanken wanderten zu dem Ereignis mit dem Prinzen, wie sie sich zusammen von dem Skyscraper abgeseilt und damit in den Medien für Furore gesorgt hatten. Er hatte ein paar Wochen dafür trainiert, sich bei einem Bergsteiger alle Tricks und Kniffe abgeguckt. Zudem hatte ihm der Prinz die beste Ausrüstung besorgt, die man für Geld kaufen konnte. Die Zeitungen hatten sie bejubelt, nicht nur in London. Danach war Jack noch beliebter gewesen als zuvor. Ob solche Aktionen von nun an der Vergangenheit angehörten?
    „...alles vorbereitet. Sie warten schon“, hörte Jack Frank Diggleston sagen.
    „Was?“, fragte er und riss sich zusammen. Er durfte den anderen nicht zeigen, dass er Mühe hatte, sich auf das heutige Ereignis zu konzentrieren. „Ich war in Gedanken noch bei Prinz Andrew. Er war ein tapferer Kletterer.“ Er grinste, um von seinem Desinteresse abzulenken. „Sogar seine Ex, Sarah Ferguson, war gekommen, um ihm zu gratulieren.“
    „Das müssen wunderbare Erinnerungen sein“, erwiderte der Geschäftsführer mit schwärmerischem Blick – und einem Hauch Ungeduld. Dass er solche Abenteuer niemals selbst erleben würde, sah man ihm auf den ersten Blick an. Er wog um die hundert Kilo bei einer Körpergröße von einem Meter siebzig. Seine größte Ausdehnung erreichte sein Körper genau in der Mitte. Dort, wo sich bei anderen Menschen die Taille befand, umgab den Mann eine dicke Schicht von Fleisch und Fett. Frank Diggleston sah aus wie ein überdimensionierter Brummkreisel.
    „Ja, das sind sie“, stimmte Jack zu und versuchte, den Gedanken an das mögliche Ende solcher wunderbarer Erlebnisse aus seinem Bewusstsein zu

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