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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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sie.
    »Ich fahre morgen früh nach Arizona.«
    »Na denn. Frohe Weihnachten. Und danke nochmal für den schönen Abend.«
    Sie gab mir ein Küsschen auf die Wange und winkte mir über die Schulter zu, bevor sie zur Tür hinausrauschte.
    Ich kaufte einen Sixpack und setzte mich auf die Fensterbank, trank, hörte Sinatra, beobachtete die Studenten unten im Hof. Sie verabschiedeten sich, umarmten sich, eilten in Richtung Union Station. Der Campus leerte sich wie ein Ballon, aus dem die Luft wich. Das Telefon klingelte. Vermutlich meine Mutter, die wissen wollte, wie die Prüfung gelaufen war. Nein. Es war Sidney, die aus dem Auto anrief. Ein Telefon im Auto? Mir war das völlig neu. »Hey du«, sagte sie. »Lass uns essen gehen.«
    »Zusammen? Heute Abend?«
    »Zusammen. Heute Abend. Ruf mich zurück und sag Bescheid, welchen Zug du nimmst. Ich hol dich am Bahnhof ab.«
    Ich legte auf, trank einen Schluck Bier und brach in Tränen aus. Zum ersten Mal in meinem Leben weinte ich vor Freude.
    Sidney stand auf dem Bahnsteig, als mein Zug einfuhr. Sie trug einen weißen Mantel, ihre Haare und Wimpern waren mit Schneeflocken gesprenkelt. Sie hatte einen Tisch in einem Restaurant am Wasser reserviert, wo wir beide unser Essen nicht anrührten. Die Teller kamen und gingen, unbemerkt wie unser Atem. Dann rasten wir in ihrem Sportwagen durch dichten Wald. Vor dem Haus ihrer Eltern hielten wir an und blieben im Auto sitzen, bei laufender Heizung, im Radio spielte Phil Collins, und beide warteten wir darauf, dass der andere etwas sagte. Durch den fallenden Schnee und die Bäume sah ich einen Fluss im Mondlicht blitzen. Mit Schaudern dachte ich an den Kanal in Arizona.
    Sie nahm mich mit ins Haus. Sämtliche Lichter waren aus, alle schliefen. Sie führte mich nach oben in ein Gästezimmer. »Was ist mit deinen Eltern?«, flüsterte ich, als sie die Tür schloss. »Wecken wir sie nicht auf?«
    »Sie sind sehr liberal«, flüsterte sie.
    Die Nachttischlampe warf ein grelles Licht, wie eine Lampe bei Opa, aber ich wollte sie nicht ausschalten. Ich wollte Sidney sehen. Ich zog einen meiner routengemusterten Socken über die Glühbirne und drehte mich genau in dem Augenblick um, als Sidney ihren BH öffnete und zu Boden fallen ließ. Sie stieg aus Hose und Slip, dann trat sie, eingetaucht in rautenförmiges Licht, auf mich zu. Sie zog mich aus, legte eine Hand auf meine Brust und gab mir einen Schubs. Ich fiel aufs Bett. Sie glitt auf mich, unter mich. Ooh, sagte sie leise, dann wieder, etwas lauter. Dann viel lauter. Deine Eltern, sagte ich. Die sind okay, erwiderte sie. Ooh, sagte sie wieder, dann ja, dann Oohs und Jas in atemlosen Kombinationen. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass es so viele Kombinationen geben könnte. Ich konzentrierte mich auf die Kombinationen, zählte sie, schaltete mit ihrer Hilfe alle anderen Gedanken aus, auch den an mein eigenes Vergnügen, denn ich war entschlossen, zu warten, durchzuhalten, meinen Mann zu stehen. Das Gefühl von Sidney unter mir und der Anblick ihres Körpers waren ein Traum, und wenn ich beides auskosten oder auch nur eine halbe Sekunde innehalten und mich davontragen lassen würde, wäre der Traum zu Ende. Ja, sagte Sidney gepresst, ja, ja, bis das Wort jede Bedeutung verlor und zu einem Klangteppich wurde, auf den wir beide uns konzentrierten, bis ein leises zufriedenes Zischen folgte, ein Kontrapunkt zum Wind draußen.
    Wir lagen zusammen und schwiegen so lange, dass ich dachte, sie würde schlafen. Schließlich sagte sie: »Riechst du auch was Verbranntes?« Ich schaute zur Lampe. Meine Socke auf der Glühbirne qualmte. Ich packte sie, warf dabei die Lampe um und verursachte einen höllischen Lärm. Sidney lachte. Dann verwandelte ich die verbrannte Socke in eine Handpuppe, »Bockrates«, der einen philosophischen Kommentar zu dem soeben von ihm beobachteten schockierenden Geschehen abgab.
    »Du bringst Ärger«, sagte sie und lachte in ihr Kissen.
    »Warum?«
    »Einfach so.« Sie umarmte mich. »Und ich bin nicht sicher, ob ich deine Art von Ärger brauchen kann.«
    Als ich aufwachte, stand sie mit einem Becher Kaffee über mir. »Guten Morgen, Trouble«, sagte sie.
    Sie trug einen bauschigen weißen Satinmorgenmantel, der offen stand. Ich nahm ihr den Becher aus der Hand, und als sie sich wegdrehte, packte ich sie und zog sie aufs Bett.
    »Meine Eltern«, sagte sie.
    »Ich dachte, die sind liberal.«
    »Ja, aber jetzt sind die Liberalen wach und haben ihr Interesse

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