Tender Bar
am Kanal für eine an einem silbernen Fluss wohnende Göttin als Partner ausschloss, wollte aber auch nicht das Zuhause herabsetzen, das meine Mutter mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für uns eingerichtet hatte. Schließlich sagte ich nur: »Sidney steht da oben.« Ich hielt meine Hand über den Kopf. »Und ich bin da unten.« Ich ließ meine Hand zu den Knien sinken.
»Sag das nicht. Du hast so viel zu bieten.«
»Klar. Kein Geld, keine Ahnung, was ich aus meinem Leben machen soll …«
»Keine Ahnung?«
»Ich meine, außer dass ich Anwalt werden will.«
»Pass auf«, sagte sie. »Es ist nicht das Schlechteste in einer Partnerschaft, wenn der Mann die Frau auf ein kleines Podest stellt.« Sie lächelte und rieb mir ermutigend die Schulter, aber ich konnte mir kein Lächeln abringen. »JR, sich zu verlieben, ist ein Segen. Versuch es zu genießen.«
»Und wenn sie mir das Herz bricht?«, fragte ich.
Sie starrte über mich hinweg.
»Mom?«
Ausdruckslose Miene.
»Mom?«
Sie senkte den Blick und sah mich an.
»Du wirst es überleben«, sagte sie.
Sidney holte mich am Flughafen mit einer Flasche Champagner ab, die wir hin und her reichten, während sie auf der 1-95 in Richtung Norden raste. Es war Sonntagabend, die Temperatur unter null. Auf der Straße fuhr kein Auto. Wir hatten die Welt für uns.
Gegen Mitternacht kamen wir in Yale an. Gefrorene Bäume knackten im Wind. Die Straßen waren die reinsten Eisrutschen. Wir hielten bei meinem Wohnheim, holten meine Sinatra-Platten, fuhren dann zu ihr und schlossen uns ein. Als ich einen schweren Sessel vor die Tür schob, grinste Sidney verschmitzt.
Ein paar Tage lang setzten wir keinen Fuß vor die Tür. Es schneite, schmolz, schneite wieder – wir bekamen es kaum mit. Wir schalteten weder Radio noch Fernsehen ein. Die einzigen Geräusche in der Wohnung waren unsere Stimmen und die Sinatras, unser Stöhnen und das seine, und der Wind. Wenn wir Hunger hatten, bestellten wir uns was aus einem Restaurant an der Ecke. Das Telefon klingelte am laufenden Meter, aber Sidney ging nie ran, und einen Anrufbeantworter hatte sie nicht. Falls ihre Verehrer sie suchten, schien es sie nicht zu interessieren, jedenfalls deutete ich ihre Gleichgültigkeit dahingehend, dass sie mit alien Männern fertig war – es gab nur noch mich.
Die Zeit verstrich unmerklich, dann blieb sie ganz stehen, verlor uns aus ihren Fängen. Eine Stunde lagen wir da, starrten uns an, lächelten, berührten unsere Fingerspitzen, sagten gar nichts. Wir schliefen ein. Wir wachten auf, liebten uns, schliefen wieder ein, die Finger ineinander verhakt. Ich hatte keine Ahnung, ob es Morgen oder Abend war, welcher Wochentag, und ich wollte es auch nicht wissen.
Irgendwann, als Sidney gerade schlief, setzte ich mich auf einen Stuhl am Fußende des Betts, trank ein Bier und versuchte meine Gefühle zu ordnen. Anfangs war ich von Sidneys Schönheit überwältigt, das musste ich ehrlich zugeben, doch jetzt ging es tiefer. Hier ging es um mehr als Sex, um mehr als Liebe. Die Bedeutung von Sex hatte ich bei Lana erlebt, seitdem hatte ich für ein oder zwei Mädchen geschwärmt, doch das waren nichts weiter als hastige Übungen für das hier. Die Sache mit Sidney war groß, sie würde mich für immer verändern, und wenn ich nicht aufpasste, würde sie mich umbringen, denn ich war jetzt schon verzweifelt. Schon jetzt merkte ich, dass ich alles geben würde, um dieses Gefühl festzuhalten, diese treibende Urkraft, die mir seit neunzehn Jahren gefehlt hatte. Seit jeher war ich überzeugt gewesen, dass Sex und Liebe die großen Katalysatoren waren, Dinge, die aus einem Jungen einen Mann machten, und viele Menschen, denen ich vertraute, hatten Ähnliches angedeutet, nur hatte sich bei mir bisher alles im theoretischen Bereich abgespielt. Nie im Leben hätte ich geglaubt, wie explosiv diese Katalysatoren sein könnten, wie magisch es wäre, wenn Liebe und Sex sich auf einen Augenblick und auf eine Person konzentrierten. Mir wurde klar, dass ich bisher ein Zyniker war, aber jetzt, wenn Sidney die Augen öffnete und ich in jene tiefen braunen Teiche bis zu den Pfahlwurzeln ihrer Seele starrte, glaubte ich, dass sie eine Metamorphose in mir bewirken und vielleicht ein Wunder zuwege bringen konnte. Sie konnte mich zum Mann, und noch wichtiger, sie konnte mich vielleicht sogar glücklich machen.
Wenn wir schließlich doch aufstanden, mixte ich uns ein paar Martinis, dann legten wir uns auf die
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