Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
Vom Netzwerk:
Times nicht mehr bemühte, hielt ich mich an ein striktes Pensum und verschob meine abendlichen Ausflüge ins Publicans so lange, bis ich mindestens eine Stunde an meinem Barroman gearbeitet hatte. Allerdings war jeder Versuch zum Scheitern verurteilt, weil ich gar nicht verstand, warum ich übers Publicans schreiben wollte und warum ich die Bar so mochte. Ich hatte Angst, es zu verstehen, und so machte ich kaum mehr, als Wörter auf der Seite umzustellen, eine letztlich ebenso sinnlose Übung wie seinerzeit die Wortspielereien in den Zweierreihern.
    Wenn die Sinnlosigkeit nicht von der Hand zu weisen war, saß ich da und starrte auf die Wand über meinem Schreibtisch, an die ich Karteikarten mit Lieblingszitaten von Cheever, Hemingway und Fitzgerald gepinnt hatte. Auf Fitzgerald war ich wütend. Schlimm genug, dass er einen unerreichbaren Maßstab hinsichtlich Perfektion gesetzt und bereits den größten amerikanischen Roman geschrieben hatte, aber musste er ihn ausgerechnet in meiner Heimatstadt ansiedeln? Ich dachte an meine Lieblingsromane – Der große Gatsby, David Copperfield, Die Abenteuer des Huckleberry Finn, Der Fänger im Roggen – und ihre Brillanz lähmte mich. Ich begriff nie, was sie gemein hatten, das, was mich an ihnen so faszinierte: Jeder männliche Erzähler erwähnt seinen Vater auf den ersten paar Seiten. In Gatsby erscheint er gleich im ersten Satz. An diesem Punkt setzt ein verstörter männlicher Erzähler normalerweise an, an diesem Punkt hätte auch ich gern angesetzt.
    Wenn ich einen Grund für eine lähmende Schreibhemmung gesucht hätte, wären die Umstände über Louie the Greek’s ideal gewesen; es war heiß, laut, die Wände vibrierten bei jedem Zug, der in den Bahnhof ein-oder ausfuhr, in der Luft schwebte das Aroma von Gewürzgurken, gebackenem Speck, Bratkartoffeln und Käse. Aber mir wäre es auch in einer abgeschiedenen Schriftstellerkolonie im Wald nicht besser ergangen, denn ich war der ideale Kandidat für Schreibhemmung. In mir liefen alle klassischen Defekte zusammen – Unerfahrenheit, Ungeduld, Perfektionismus, Verwirrung, Angst. Vor allem litt ich unter der naiven Vorstellung, Schreiben müsse leicht sein. Meiner Ansicht nach mussten Worte wie von selbst kommen. Auf die Idee, dass Fehler Trittsteine zur Wahrheit darstellten, wäre ich nie gekommen, denn ich hatte das Ethos der Times verinnerlicht, dass nämlich Fehler fiese kleine Dinger waren, die es zu vermeiden galt, und dieses Ethos übertrug ich dummerweise auf den von mir angestrebten Roman. Wenn ich etwas schrieb, das nicht stimmte, deutete ich es meist so, dass mit mir etwas nicht stimmte, und wenn mit mir etwas nicht stimmte, verlor ich den Nerv, die Konzentration und den Willen.
    Im Rückblick scheint mir am erstaunlichsten, wie viele Seiten ich produzierte, wie viele Entwürfe ich anfertigte, wie sehr ich mich bemühte, bevor ich endgültig aufgab. Diese Ausdauer widersprach meinem Wesen und zeigte nur, wie sehr mich die Bar in ihrem Bann hielt, wie zwanghaft mein Drang war, sie zu beschreiben. Abend für Abend saß ich an meinem Schreibtisch über Louie the Greek’s und versuchte, über die Stimmen in der Bar zu schreiben, über das berauschende Lachen der Männer und Frauen, die sich an einem Ort drängten, an dem sie sich geborgen fühlten. Ich versuchte, über die in Rauchschwaden gehüllten Gesichter zu schreiben, die oft an Geister in einem nebligen Jenseits erinnerten, über die funkelnden Gespräche, die von Pferderennen zu Politik zu Astrologie zu Baseball zu historischen Liebesaffären springen konnten – und das in der Spanne von einem Bier. Ich versuchte, über Steves strahlendes Lächeln zu schreiben, Onkel Charlies Kopf, Joey Ds Maus, Lagers Schildkappe, Fast Eddys Art auf einem Barhocker zu landen. Ich versuchte, über die von Geld überquellenden Pissoirs zu schreiben, und wie ich einmal auf der Toilette eingeschlafen war, bis mich jemand mit den Worten weckte: »Hier wird gekackt und nicht geknackt« Ich versuchte darüber zu schreiben, wie Smelly eines Abends dem legendären, riesenhaften Running Back Jim Brown mit dem Kochmesser gedroht hatte. Doch ganz gleich, ob ich die Figur Stinky nannte und das Messer eine Hummerzange werden ließ – Smelly erschien in der Geschichte immer gemeingefährlich und nicht lächerlich schlecht gelaunt.
    Eine Zeit lang, im Jahr 1988, schrieb ich über Lagers Versuch, Fast Eddy auszunehmen. Die »Kapriole«, wie Bob the Cop es gern nannte, fing Ende der

Weitere Kostenlose Bücher