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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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fragte Onkel Charlie.
    »Wusstest du, dass dein Neffe übers Publicans schreibt?«, fragte Peter. »Ich dachte, alles was hier gesagt wird, ist vertraulich«, brummte Onkel Charlie, aber es klang scherzhaft.
    »Der Kleine ist ein Schreiberling«, sagte Colt. »Schuld sind die verdammten Zweierreiher.«
    »Gib mal her«, sagte Onkel Charlie.
    »Genau, lass mal sehen«, sagte Bob the Cop.
    Peter gab Onkel Charlie meine Seiten, und wenn Onkel Charlie mit einer fertig war, reichte er sie an Bob the Cop weiter, der sie Cager gab und so fort.
    »Mir fehlt Seite sechs«, sagte Cager.
    »Wer hat Seite neun?«, rief Onkel Charlie.
    »Ich«, sagte Peter. »Immer mit der Ruhe.«
    Während ich zusah, wie die Männer eine Eimerkette bildeten und meine Seiten am Tresen auf- und abreichten, fasste ich einen wichtigen Entschluss. Die Männer im Publicans sollten meine neuen Redakteure werden. Wenn die Redakteure der Times mich runterfuhren, würde ich die Kneipe hochfahren. Jeden Samstagabend würde ich mein Manuskript Peter und den Männern geben. Ich würde mir meinen eigenen Abgabetermin setzen, mein eigenes Ausbildungsprogramm starten.
    Die Entscheidung markierte eine Veränderung in meiner Beziehung zur Bar, und sie gab auch dem Gesprächsstoff an der Theke eine andere Richtung. Bisher hatten wir unsere Geschichten im Publicans zusammengetragen und einander erzählt und durcheinander gemischt, wodurch ein Erfahrungsaustausch stattfand, der dazu führte, dass man am nächsten Morgen mitunter aufwachte und nicht genau wusste, ob man selbst in Vietnam gekämpft oder Leichen aus dem Hafen gefischt hatte oder Gangstern hundert Riesen schuldete. Jetzt aber mischten und verhandelten wir meine Versionen der Geschichten jedes Einzelnen, und Geschichten erzählen – mit allen Tricks, Risiken und Belohnungen – wurde in jenem Sommer Thema Nummer eins im Publicans. Die Männer waren anspruchsvolle Leser, und sie wollten unterhalten werden. Sprache und Handlung mussten so klar und einfach sein, dass sie den Halbschatten dessen durchdrangen, was sie getrunken hatten – ein unschätzbares Training für einen jungen Schriftsteller. Vielleicht wussten sie nicht so viel über die Regeln des Schreibens wie die Redakteure in der Times, aber zumindest setzten sie mich nie wegen meiner Sprachschnitzer und Rechtschreibfehler herab.
    »Die Bar bringt ›Gicht in die Finsternis?‹«, sagte Cager und zeigte auf eine meiner Seiten. »Warum bringt die Bar Gicht in die Finsternis?«
    »Das ist ein Tippfehler«, sagte ich. »Sollte ›Licht‹ heißen. Licht in die Finsternis.«
    »Ich glaube, mir gefällt das so. Gicht in die Finsternis. Denk mal drüber nach.«
    Ich blickte über seine Schulter und überdachte seinen Vorschlag. »Und was soll das hier sein?«, fragte er. »Ein Stein wäre ein Traum? Wieso wäre Einstein ein Traum?«
    »Das sollte ›Stern‹ heißen.«
    »Mann, im Tippen bist du echt kein Genie. Relativ gesehen jedenfalls.«
    Fehler wurden im Ausbildungsprogramm des Publicans anders behandelt als in dem der Times. Der Unterschied wurde mir klar, als ich das Wort »flamboyant« in einer Geschichte für die Zeitung falsch gebrauchte. Der Redakteur, dem mein Fehler auffiel, sorgte dafür, dass ich mir wie ein Zwerg vorkam. Später am Abend erzählte ich Onkel Charlie und Peter, wie mich der Redakteur runtergeputzt hatte. »Und was bedeutet ›flamboyant‹?«, fragte Onkel Charlie. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich. Er legte das Buch der Wörter auf die Theke. »Schlag nach.« Dann ging er zu Fast Eddy, mit dem er etwas zu besprechen hatte. Ich blätterte zu »flamboyant.« Die Definition war »flammend; farbenprächtig; heftig, energisch«. Jemand hatte die letzten beiden Wörter eingekreist und in großen roten Buchstaben geschrieben: »SIEHE CHAS.« Ich zeigte es Peter. Er musste lachen. Als Onkel Charlie zurückkam, zeigte ich es ihm.
    »Was soll man davon halten?«, sagte er.
    »Du hast die Seite noch nie gesehen?«, fragte ich ihn.
    »Du hast nicht gewusst, dass jemand die Definition eingekreist und deinen Namen daneben geschrieben hat?«, sagte Peter.
    »Nö.« Onkel Charlie las die Definition laut vor. »Passt aber, oder?«
     
     
     
35 | PROFISPIELER
     
    Auf dem Weg in Opas Haus sah ich einen fremden Mann am Küchentisch sitzen und ein Glas Milch trinken. »McGraw?«, fragte ich. Erschrocken fuhr er hoch. Seit unserer letzten Begegnung war er fast zehn Zentimeter größer und fünfzehn Kilo schwerer geworden. Er war

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