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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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er große Erfolge erzielt, wenn er den Frauen hicksend seine alkoholisierten Haikus vortrug. (»Schwestern in schneeweißer Tracht/ Sitzen im Publicans die ganze Nacht/Dicht gedrängt/Wie ein Sportteam/Jede mit ihrem eigenen Traum von unerwiderter Liebe …«) Aber durch sein gutes Aussehen konnte er solche hochgestochenen Verse wettmachen.
    Am Ende beschloss ich, meine Volontärin einfach vom Publicans aus anzurufen und sie um ein Date zu bitten. »Dein Tod«, sagte Onkel Charlie und drückte eine Zigarette aus.
    Mein Anruf überraschte sie, da sie keinen Schimmer hatte, wer ich war. »Kannst du noch mal sagen, wer du bist?«, sagte sie.
    Ich wiederholte meinen Namen, sprach ihn langsam aus. Dann beschrieb ich ihr, wo ich in der Redaktion meistens saß.
    »Woher hast du meine Nummer?«
    Da ich die Nummer aus Maries Rolodex gestohlen hatte, überhörte ich die Frage geflissentlich und erkundigte mich, ob sie am Samstag Zeit hätte. »Ich dachte, wir könnten vielleicht …«
    »Eigentlich wollte ich mir die neue Clay-Ausstellung ansehen, von der alle reden.«
    »Klar, die Clay-Ausstellung, warum nicht! Obwohl ich dachte, wir könnten …«
    »Wenn du mich dort treffen willst, geht das meinetwegen in Ordnung.«
    Wir verabredeten uns vor dem »Museum«. Ich hatte keine Ahnung, von welcher Ausstellung oder welchem Museum sie redete. Ich rief meinen Zimmerkollegen aus Yale an, den Jurastudenten, der jetzt in New York wohnte, und gab ihm einen kurzen Überblick (hübsche Volontärin, schrecklich verknallt, bevorstehende Verabredung), ehe ich ihn fragte, was er über die große Clay-Ausstellung wisse. »Du bist so ein Idiot«, sagte er. »Paul Klee. K-I-e-e. An diesem Wochenende eröffnet im Met eine Retrospektive seiner Werke.«
    Am nächsten Morgen lieh ich mir in der New York Public Library ein Dutzend Bücher über Klee aus und überflog sie in der Redaktion. Nach der Arbeit schleppte ich sie mit ins Publicans. Colt schenkte mir einen Scotch ein und zog eine Augenbraue hoch, als ich eins der Bücher aufschlug. »Ich hatte es befürchtet«, sagte Cager zu Bob the Cop. »Yale hat spitz gekriegt, dass er nichts über die Magna Charta weiß, und jetzt muss er wieder hin und die Sommerschule besuchen.«
    »Ist nicht für Yale«, sagte ich. »Ich lese für – ein Mädchen.«
    Cager und Bob the Cop sahen sich an. Offenbar überlegten sie, ob sie mich nach draußen zum Parkplatz schleppen und mir ein bisschen Verstand einbläuen sollten. Dann wurden sie auf Klees Bilder aufmerksam. Sie rückten näher, um besser sehen zu können. Cager war von Klees Formen und Linien begeistert und hörte fasziniert zu, als ich ihm von Klees Erlebnissen im Ersten Weltkrieg erzählte. Bob the Cop sagte, ihm gefalle Klees Umgang mit Farben. »Das hier ist schön«, sagte er und zeigte auf Die Zwitschermaschine.
    Ich erzählte ihnen, was ich bisher gelernt hatte. Von Klees Beziehung zu Kandinsky. Von seiner Begeisterung für die Romantik. Von seiner Verwendung kindlicher Zeichenformen. »Das hier«, sagte Cager, »sieht aus wie ein Kater.«
    Wir beschäftigten uns bis zur letzten Runde mit Klee, dann las ich in meiner Wohnung weiter, bis Louie the Greek um vier Uhr früh den Grill anschmiss.
    Auf dem Weg zum Museum schlief ich fast im Stehen ein, aber ich war überzeugt, dass selbst die Kuratoren nicht mehr über Klee wussten als ich. Meine Volontärin wartete schon am Eingang, sie trug einen in der Taille gegürteten Regenmantel und ließ ihren Regenschirm kreiseln, als wäre es ein Sonnenschirm. Sie sah aus wie ein Modell, das Klee bestimmt gern gemalt hätte, obwohl er in ihr vielleicht nur eine Pyramide aus Titten und Wimpern gesehen hätte. Ich jedenfalls sah sie ein bisschen so.
    Wir stellten uns für Eintrittskarten an. Es fiel mir schwer, belanglos zu plaudern, da mein Hirn zugleich träge und voller Fakten über Klee war. Schließlich waren wir in der Ausstellung und standen vor dem ersten Gemälde. Ich zeigte auf eine Ecke der Leinwand, wo ein Strichmännchen einen Fisch musterte. Ich dozierte über den Einfluss des Naiven auf Klee, seine Vorliebe für einfache Mittel wie Pastellstifte.
    »Du weißt ja viel über Klee«, sagte Volontärin.
    »Ich bin ein großer Verehrer.«
    Sie musterte die Gemälde mit finsterer Miene, ihr Ausdruck war dem Cagers nicht unähnlich.
    »Gefällt dir Klee nicht?«, fragte ich.
    »Nicht unbedingt. Ich wollte nur mal sehen, warum so viel Aufhebens um ihn gemacht wird.«
    »Verstehe.«
    Wir gingen wieder.

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