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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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seinem Schreibtisch verbrachte. Trinken und Schreiben gehören zusammen wie Scotch und Soda, redete ich mir ein, als ich durch die Tür trat. DePietro war da, wie versprochen, er saß auf Promenade, und neben ihm, auf Parkplatz, thronte Onkel Charlie. »Mein schöner Neffe«, sagte er und küsste mich auf die Wange. Er hatte schon einige hinter der Binde. Fast Eddy war ebenfalls da, neben ihm saß seine Frau Agnes, die bei Louie the Greek bediente. Sie trank ihren üblichen Irish Coffee (und ahnte nicht, dass die Barkeeper entkoffeinierten Kaffee dafür verwendeten, »um die ihr eigene Redseligkeit zu hemmen«, wie Onkel Charlie sagte.) Fast Eddy erzählte gerade, wie er Agnes einmal gegen Onkel Charlie hatte um die Wette laufen lassen. Fast Eddy hatte geprahlt, dass Agnes Onkel Charlie locker davonlaufen würde, während dieser versprochen hatte, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen, wenn er nicht gegen eine »kettenrauchende Bratkartoffelmamsell« gewinnen könne, also stiefelten sie mit der halben Bar im Schlepptau zur Aschebahn vor der Highschool. Agnes, in Handtücher gehüllt wie ein Preisboxer, trat noch wenige Sekunden, bevor Fast Eddy seine Startpistole abfeuerte, eine Zigarette aus. (Warum Fast Eddy eine Startpistole bei sich hatte, schien niemanden zu wundem.) Onkel Charlie schlug Agnes, zahlte aber einen gepfefferten Preis. Er lag im Gras, kotzte und fühlte sich noch Tage später unpässlich.
    Ich nahm an, dass sich diese Geschichte leichter zu Papier bringen ließ als »Fremde in der Bar« und machte mir eine entsprechende Notiz.
    Peter, der Thekendienst hatte, sah mich auf die Serviette schreiben. Von allen Barmännern im Publicans war Peter der netteste. Er war zehn Jahre älter als ich und sah mich immer mit einem gewissen Bedauern an, wie ein gutherziger älterer Bruder, der wusste, dass ich etwas falsch gemacht, aber noch nicht gemerkt hatte, was es war. Er hatte eine leise Stimme, sanfte braune Augen, seidiges braunes Haar, aber einen harten inneren Kern, eine gewisse Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, die dazu führte, dass die Leute sich vorbeugten, wenn er redete. Doch wenngleich er glücklich wirkte – und Peter bog sich oft vor Lachen –, er hatte immer auch etwas Trauriges an sich. Wenn er einem direkt in die Augen sah, konnte man ihn, auch wenn er lächelte, förmlich denken hören: Alles ist beschissen, Kleiner. Wir müssen das jetzt nicht diskutieren, wir müssen nicht ins Detail gehen, aber ich will dir auch nichts vormachen – alles ist beschissen. In einer Kneipe voller lauter und charismatischer Männer gehörte Peter zu den Stillen, und das machte sein Charisma ungemein verführerisch.
    »Was schreibst du da?«, fragte er und goss mir einen Scotch ein.
    »Nur Notizen«, sagte ich.
    »Wofür?«
    »Ach nichts. Sachen über die Bar.«
    Er bohrte nicht weiter. Stattdessen redeten wir über seinen neuen Job an der Wall Street, den er durch einen Gast im Publicans gefunden hatte. Ich freute mich für ihn, war aber zugleich traurig, dass einer meiner liebsten Barkeeper seltener hier arbeiten würde. Er verkaufte jetzt ganztags Aktien und arbeitete nur noch gelegentlich hinter der Theke, meistens am Samstagabend, um ein paar zusätzliche Kröten für seine Familie zu verdienen. Seine wachsende Familie. Seine Frau, erzählte er mir, sei schwanger. »Ja«, sagte er schüchtern. »Wir haben festgestellt, dass es klappt.«
    »Du wirst bald Vater?«, sagte ich. »Herzlichen Glückwunsch.«
    Ich spendierte ihm einen Drink.
    »Du schreibst also über diesen Laden«, sagte er und zeigte auf meine Mappe. »Darf ich?«
    Wir tauschten mein Kapitel für einen Scotch.
    »Früchte des Korns?«, sagte er. »Eingängiger Titel.«
    »Colt gab die Anregung.«
    »Ja, wenn ich mich recht entsinne.«
    »Colt?«
    Ich beobachtete Peter beim Lesen, analysierte jedes Zittern in seinem Gesicht, jedes Zucken seiner Augenbrauen. Als er fertig war, gab er mir die Seiten und stützte sich auf die Theke. Er verzog das Gesicht und sah noch trauriger aus als sonst. »Gut ist es nicht«, sagte er. »Aber es hat was.« Ich erklärte Peter, dass mir Ideen und Themen im Kopf herumschwirrten wie die Gerüche von Louies Grill in meiner Wohnung, sie waren nicht zu ignorieren, aber auch schwer zu fassen. Darum würde ich aufgeben.
    »Das wäre ein Fehler«, sagte er.
    »Warum?«
    Ich gab ihm die Möglichkeit zu sagen, ich hätte Talent. Tat er aber nicht. Er sagte nur: »Aufgeben ist immer ein Fehler.«
    »Was hast du denn da?«,

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