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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Als wir in einer Sushi-Bar über einem Teller California Rolls saßen, war ich so enttäuscht über mein geplatztes Klee-Examen, dass mir kein Wort über die Lippen ging. Nach einer halben Stunde meinte Volontärin, sie müsse noch woanders hin, und ich nahm es ihr nicht übel. Wenn ich vor mir hätte davonlaufen können, hätte ich es sofort getan. Wir trennten uns mit einem unverbindlichen Händeschütteln.
    Zurück im Publicans, fragte Cager, wie es gelaufen war.
    »Anders als erhofft«, sagte ich.
    »Geschieht dir recht. Wenn du für eine Verabredung büffelst!«
    »Was hätte ich sonst machen sollen?«
    Er wirbelte auf seinem Barhocker zu mir herum und schob die Schildkappe zurück, damit ich sein Gesicht sehen konnte. »Wenn eine Frau nächstes Mal mit dir ins Museum gehen will«, sagte er, »dann fährst du mit ihr nach Cooperstown in die Baseball Hall of Fame.«
     
     
     
34 | PETER
     
    »Hey, Edward R. Murrow-Ringer«, sagte ein Mann im Publicans zu mir. »Wieso steht dein Name eigentlich nie in der Zeitung?«
    »Ich verwende ein Pseudonym. William Safire.«
    Er lachte und haute auf die Theke. »Willie!«, sagte er. »Deine erzkonservativen Kommentare gefallen mir nicht.«
    Dieser Mann wusste, warum ich nie in der Zeitung stand. Jeder im Publicans wusste es. Wie auch nicht? Abend für Abend sahen sie, wie ich an der Theke saß und mehr Mühe in das Kreuzworträtsel der Times steckte als in den Versuch, etwas für die Nachrichtenseiten der Times zu schreiben. Der Mann fragte, weil er nicht begriff, warum ich aufgehört hatte, mir Mühe zu geben. Allmählich fragte ich mich das auch.
    Im Grunde war das Ausbildungsprogramm genau wie »J.R. Moehringer« eine unzutreffende Bezeichnung. Es gab weder eine Ausbildung noch ein Programm. Kurz nach meinem Einstieg bei der Zeitung kamen die Redakteure zu der Ansicht, dass sich das Ausbildungsprogramm finanziell nicht auszahlte. Warum, so argumentierten sie, einen Volontär zum Vollzeitreporter befördern, wenn die Times für das gleiche Gehalt jeden preisgekrönten Reporter im Land einstellen konnte? Öffentlich durften die Redakteure das natürlich nicht sagen, weil das Ausbildungsprogramm eine ehrwürdige Times-Tradition und für viele der Redakteure das Sprungbrett in die Zeitung gewesen war. Wie würde es aussehen, wenn sie die Leiter hinter sich hochzogen? Außerdem wollten sie das Programm nicht gleich sterben lassen, sondern es langsam »herunterfahren«. Dieses Wort benutzten sie in ihren geheimen Sitzungen, dieses Wort war nach draußen gesickert. Es gefiel ihnen, wenn ihnen ein paar Dutzend Abgänger von Edelunis ständig um den Bart gingen und in den Redaktionsräumen herumwuselten. Es schmeichelte ihrer Eitelkeit, uns Sandwiches holen und Durchschläge sortieren zu lassen. Und so machten sie uns vor, es gäbe ein Ausbildungsprogramm, lockten weiterhin Vo!ontäre und Volontärinnen mit der falschen Hoffnung auf Beförderung und teilten dann jeden Monat dem einen oder anderen mit, der geheime Ausschuss sei zusammengekommen und habe entschieden, er oder sie sei nicht Times-tauglich. Sie können gern bleiben, hieß es dann, solange Ihnen klar ist, dass Sie bei uns keine Aufstiegschancen haben.
    Sobald feststand, dass sie »chancenlos« waren, ein weiteres Wort, das immer wieder fiel, warfen die meisten Volontäre das Handtuch. Ehrgeizig und verbittert gingen sie zu anderen Zeitungen oder begannen neue Karrieren. In der Redaktion setzte man auf diesen stetigen Exodus, um eine etwaige Meuterei abzuwehren und die Farce aufrechtzuerhalten. Sobald ein Volontär ging, bewarben sich jede Menge neuer Kandidaten für den freien Platz, und auf diese Weise wurde das Korps der Sandwichholer und Durchschlagtrenner ständig aufgefüllt. Das »Ausbildungsprogramm« ging weiter.
    Eigentlich durfte das niemand wissen, aber in einer Redaktion gibt es keine Geheimnisse. Jeder wusste Bescheid, und aus diesem Grund gaben die meisten Redakteure den Volontären nichts mehr zu schreiben. Wozu Zeit und Energie in einen Haufen Leute stecken, den die Topredakteure ohnehin abgeschrieben hatten. Wozu jemanden protegieren, der nicht mehr lange da war? Angesichts dieser geballten Gleichgültigkeit und Ernüchterung hätten die Volontäre eigentlich die Arbeit lahmlegen, einen Streik inszenieren oder das Gebäude in Brand setzen müssen. Stattdessen bemühten wir uns weiter. Wir stöberten in den Papierkörben nach Ideen für Storys, die Reporter weggeworfen hatten, wir katzbuckelten um

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