Tender Bar
gekommen, ich glaube, einen Cocktail könnte ich auch genießen.
Eine Woche hing ich in der Wohnung meines Vaters herum, las seine Bücher, rauchte seine Zigaretten, hörte mir seine Sendung im Radio an. Für mich war es die Verwirklichung eines Kindheitstraums, seine Stimme zu hören und zu wissen, wann Schluss war und er nach Hause kommen würde. Wir gingen essen, genossen viele Cocktails, torkelten spät nachts Arm in Arm in seine Wohnung. Dort hörten wir Sinatra, gönnten uns einen Schlaftrunk, sahen vielleicht noch eine Wiederholung von Detektiv Rockford. Mein alter Herr stand auf diese Serie. Überall in der Wohnung hingen Pressefotos von ihm, und ich sah, dass er in seiner Glanzzeit ein bisschen wie James Garner ausgesehen hatte.
Er war immer noch ein Koch und Feinschmecker, der nach einem feuchten Abend gern ein Dessert zauberte wie Amaretto-Käsekuchen oder ein Nudelgericht. Die Desserts waren köstlich, doch die echte Belohnung war, ihm in der Küche zu assistieren und von ihm Kochen zu lernen. Wir waren Kumpel und machten zusammen Sachen, wie Rockford und sein Dad. Die Basis unserer neugefundenen Nähe waren natürlich Cocktails, aber na und? Cocktails ermöglichten es uns, alles zu vergessen, was er getan und was er nicht getan hatte. Und wenn Cocktails das bewerkstelligen konnten, was gab es dann gegen sie einzuwenden?
Als das Wochenende anfing, sagte mein Vater, er möchte mir seine Freundin vorstellen. Wir tranken ein paar Cocktails in einer Raststätte, bevor wir zu ihr fuhren. Sie wohnte in einer niedrigen Hütte im Wald. Als sie die Tür öffnete und uns sah, fiel ihr die Kinnlade runter und sie umarmte uns grinsend. »Wie ich sehe, hat die Party schon ohne mich begonnen«, sagte sie.
Sie war schrecklich dünn, nur Haut und Knochen. Auch nicht besonders hübsch, aber sehr sexy. Ihre zwölfjährige Tochter, die hinter ihr stand, war extrem pummelig, als hätte sie die vielen Mahlzeiten gegessen, auf die ihre Mutter verzichtete.
Wir gingen in die Küche, wo die Tochter sich wieder an den Tisch setzte und über ihr Buch beugte. Es war ein Choose Your Own Adventure, erklärte sie mir. Sobald man an einen Wendepunkt kam, musste man sich entscheiden. Willst du in die verbotene Höhle gehen? Weiter zu Seite 37. Willst du auf dem Fluss fahren? Weiter zu Seite 42. »Ich lese nur Choose-Your-Own-Adventure-Bücher«, sagte sie. »Weil ich lieber selbst eine Geschichte erfinde.«
Während mein Vater das Abendessen zubereitete, führte mich seine Freundin herum, was genau drei Minuten dauerte, da das Haus nicht größer war als das Publicans. Im Flur hing ein gerahmtes und lackiertes Puzzle, auf das sie mich hinwies, als wäre es ein Original von van Gogh. Als wir in die Küche zurückkamen, spürten wir beide sofort, dass etwas vorgefallen war. Mein Vater hatte sich verändert. Seine Augen waren kleiner. Sein Kopf rot. Ob die Tochter etwas gesagt hatte? Vielleicht hatte sie weiter über ihr Buch geplappert und meinen Vater damit geärgert?
»Was ist?«, fragte ich.
»Nichts«, erwiderte er.
Die Freundin machte eine leise Bemerkung über die »Stimmungsschwankungen« meines Vaters. Ein großer Fehler. Er beschimpfte sie. Die Tochter forderte meinen Vater auf, nicht so mit ihrer Mutter zu sprechen. Er beschimpfte die Tochter. Ich versuchte zu vermitteln und ihn zu beruhigen, aber er meinte nur: »Halt du deine Klappe.« Langsam hatte ich genug von Männern, die mir sagten, ich solle die Klappe halten. Ich sagte zu meinem Vater, er solle selbst die Klappe halten, und in dem Moment veränderte sich alles für immer.
Er ging auf mich los. Mein Vater war, genau wie Smelly, stiernackig, hängebäuchig und erstaunlich gelenkig. Ich trat einen Schritt zurück und wartete. Diesmal, nahm ich mir vor, würde es anders laufen. Diesmal würde ich meinen Angreifer nicht an mich heranlassen. Als Smelly mich packte, war ich traurig und unvorbereitet gewesen. Diesmal war ich wütend, auf alles gefasst. Mir schwirrten alle Fighter durch den Kopf die ich je gekannt hatte. Bob the Cop, Joey D, Cager, selbst Onkel Charlie, der gegen die imaginären Haglers ausholte. Ich versuchte mich an die Tipps zu erinnern, die Joey D mir im Hinblick auf Kneipenraufereien gegeben und an alles, was Don mir vom Ringen erzählt hatte. Ich überlegte, ob ich mit meinem Vater boxen oder ringen sollte. Als ich den Blick senkte, um zu sehen, ob er die Fäuste ballte, entdeckte ich das Tranchiermesser in seiner Hand.
In einem entlegenen
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