Tender Bar
Mir war das ziemlich egal.
An jenem Wochenende las ich Cheever, schwamm in Cheever, verliebte mich in Cheever. Ich wusste nicht, dass Sätze eine solche Wirkung erzielen konnten. Cheever machte mit Wörtern das, was Seaver mit Fastballs machte. Er beschrieb einen Garten voller Rosen, der so duftete wie Erdbeermarmelade. Er schrieb von der Sehnsucht nach einer »friedlicheren Welt«. Er schrieb über meine Welt, über die Vororte von Manhattan, die nach Holzasche (sein liebstes Wort) rochen und mit Männern bevölkert waren, die von Bahnhöfen in Bars eilten und wieder zurück. Jede Geschichte drehte sich um Cocktails und das Meer, sodass der Eindruck entstand, sie sei in Manhasset angesiedelt. Eine war es tatsächlich auch. In der ersten Geschichte der Sammlung wurde Manhasset namentlich genannt.
Freitag nachmittags fragten mich Bill und Bud immer, was ich während der Woche in der Schule gelesen hatte. Meistens schnalzten sie dann abschätzig mit der Zunge, führten mich durch den Laden und füllten eine Einkaufstüte mit einbandlosen Büchern. »Jedes Buch ist ein Wunder«, sagte Bill. »Jedes Buch repräsentiert einen Augenblick, in dem jemand ruhig – und diese Ruhe ist zweifellos ein Teil des Wunders – dasaß und versucht hat, dem Rest von uns eine Geschichte zu erzählen.« Bud konnte stundenlang über die Hoffnungen und Verheißungen von Büchern sprechen. Seiner Ansicht nach war es kein Zufall, dass sich ein Buch genauso öffnete wie eine Tür. Und da er eine meiner Neurosen intuitiv erkannte, fügte er hinzu, mit Hilfe von Büchern könne ich Ordnung im Chaos schaffen. Mit meinen vierzehn Jahren fühlte ich mich anfälliger denn je für Chaos. Mein Körper wuchs, ließ Haare sprießen und wurde von Bedürfnissen erschüttert, die mir fremd waren. Und die Welt außerhalb meines Körpers schien mir nicht minder sprunghaft und launisch. Meine Tage wurden von Lehrern kontrolliert, meine Zukunft lag in den Händen von Vererbung und Glück. Bill und Bud aber versicherten mir, dass mein Verstand nur mir gehörte und immer gehören würde. Wenn ich mir die richtigen Bücher aussuchen, sie langsam und sorgfältig lesen würde, könnte ich zumindest die Kontrolle über diese eine Sache behalten.
Bücher bildeten den Schwerpunkt auf Bill und Buds Unterrichtsplan, aber dabei beließen sie es nicht. Sie widmeten sich meiner Sprechweise und brachten mir bei, meinen Long-Island-Akzent zu ändern. Sie versuchten, meinen Kleidungsstil zu verbessern. Obwohl selbst nicht gerade auf dem neusten Stand der Mode, hatten sie sich einiges beim Durchkämmen der italienischen und französischen Modemagazine abgeschaut, die sie für den Laden bestellten, und oft baten sie Verkäuferinnen aus den benachbarten Boutiquen, mich zu beraten, wie ich meine »Ausstattung« ein bisschen aufpeppen könnte. Sie gewöhnten mir ab, immer nur Jeans und weiße T-Shirts zu tragen, und Bud schenkte mir Lacoste-Hemden, aus denen er herausgewachsen war, obwohl ich den Verdacht hegte, dass die Hemden Geschenke von seiner Mutter und ihm zu groß waren. Außerdem vermittelten sie mir Grundkenntnisse in Kunst, Architektur und vor allem in Musik. Sinatra sei gut, sagte Bud, aber es gebe noch andere »Unsterbliche«. An seiner Faust schnuppernd, stellte er mir eine Liste mit Platten auf, die »jeder kultivierte junge Mann besitzen muss.« Dvorak. Schubert. Debussy. Mozart. Vor allem Mozart. Bud verehrte Mozart. Ich faltete seine Liste zusammen, steckte sie in meine Tasche und hob sie jahrelang auf, weil sie ein so rührendes und ernstes Rezept für Weiterbildung war. Ich musste Bud jedoch gestehen, dass ich mir keine Platten leisten konnte. Am nächsten Tag brachte er sämtliche Platten auf der Liste aus seiner Sammlung mit. Betrachte es als Leihgabe, sagte er. Wir saßen im Lagerraum, und Bud spielte die Platten auf einem tragbaren Plattenspieler ab, dirigierte mit einem Bleistift und erklärte mir, warum Mozarts Klaviersonate in C-Dur Perfektion, warum Beethovens Trios überragend, warum Hoists Planers Suite furchteinflößend war. Während Bud mich Musik lehrte, brachte Bill das größere Opfer. Er stand den ganzen Nachmittag an der Kasse. Für mich, sagte er, und nur für mich gäbe er sich mit den »lästigen Kunden« ab.
Kurz vor dem Ende meines ersten Jahres fragten mich Bill und Bud, welches College ich besuchen wolle. Das Thema schlug mir immer aufs Gemüt, weil meine Mutter und ich kein Geld hatten. In diesem Fall, meinten Bill und Bud, musst
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