Tender Bar
wollte, dass es ihr besser ging, und wenn ich zu diesem Zweck einen romantischen Musicalfilm absitzen musste, war ich zu diesem Opfer gern bereit.
Und es war ein Opfer. Zwei Stunden lang trennten sich Barbra Streisand und Kris Kristofferson, versöhnten sich wieder, trennten sich erneut, immer ohne ersichtlichen Grund, bis Kristofferson glücklicher-weise starb. Zum Schluss schmetterte Streisand ungebrochen, ihr dauergewelltes Haar stachlig wie ein Kaktus, den Titelsong des Films, »Evergreen«, als handle es sich um »Amazing Grace«. Im Kino gingen die Lichter an. Ich wandte mich meiner Mutter zu und verdrehte die Augen, aber sie hielt ihre bedeckt und weinte. Die Leute drehten sich um und gafften. Ich versuchte sie zu trösten, aber sie hörte nicht auf. Sie weinte, als wir aus dem Kino gingen, und sie weinte noch heftiger, als ich ihr am Volkswagen die Tür aufhielt. Ich rannte auf die andere Seite und stieg ein. Sie ließ das Auto nicht an. Wir saßen da und warteten darauf, dass ihr Weinen weniger wurde, so wie man auf das Ende eines Monsuns wartet. Während ich ihr ein Papiertaschentuch nach dem anderen reichte, fiel mir ein, was Jedd über Kakteen gesagt hatte: Sie richteten sich auf und wollten immer gerade stehen. Genau das, dachte ich, versuchten meine Mutter und ich auch.
Nur fielen uns die Arme leider immer ab.
15 | BILL UND BUD
Von den 160 Dollar, die meine Mutter pro Woche verdiente, konnten wir nicht leben. Selbst mit ihrem zweiten Job als Avon-Vertreterin und meiner Zeitungstour waren wir jeden Monat knapp bei Kasse und rutschten tiefer in Schulden. Ständig kam eine unerwartete Rechnung, eine Ausgabe in der Schule, ein Problem mit dem Volkswagen. »Unser T-Bird in New York hat uns nicht im Stich gelassen«, sagte meine Mutter und starrte den Volkswagen finster an. »Diese Kiste will uns ruinieren.« Nachts lag ich oft im Bett und sorgte mich um die Finanzen meiner Mutter und um ihre Erschöpfung. Außer dem kurzen, durch Winston herbeigeführten Aufschwung war ihre Energie nach der Operation nie wieder voll zurückgekehrt, und ich befürchtete, sie könnte irgendwann zu müde sein, um überhaupt noch zu arbeiten. Müssten wir bald in einem Obdachlosenheim wohnen? Müsste ich von der Highschool abgehen und mir einen Job suchen, damit wir über die Runden kamen? Wenn ich nachts aufstand und mir ein Glas Wasser holte, saß meine Mutter in der Küche und hackte auf den Taschenrechner ein. Kurz bevor ich 1978 die Highschool besuchen sollte, gewann der Taschenrechner. Wir meldeten Bankrott an.
Oma schrieb mir lange Briefe und betonte, was auf der Hand lag. »Pass auf deine Mutter auf«, schrieb sie. »Tu alles, was du kannst, gib ihr alles, was sie braucht in dieser schwierigen Zeit. Deine Mutter gibt sich solche Mühe, JR, und es ist an dir, dafür zu sorgen, dass sie genug isst und sich die Zeit nimmt auszuruhen. Achte darauf, dass sie sich ausruht.« Echte Männer kümmern sich um ihre Mütter.
Manchmal saß ich nach der Schule so nervös und voller Sorgen am Kanal, dass ich dachte, ich muss sterben. Ich wünschte mir, ich könnte wie auf ein Stichwort locker werden, so wie Joey D im Meer, und dann meine Mutter im Lockerwerden unterrichten. Wenn ich besonders nervös war, ging ich zu einem trostlosen Einkaufszentrum auf der anderen Seite des Kanals, im Schatten des Camelback Mountain. Obwohl das Gebäude aussah, als ob es bald abgerissen werden sollte und die Hälfte der Geschäfte leer stand, fand ich die düstere Atmosphäre tröstlich. Dunkel, ruhig und höhlenartig wie es war, erinnerte es mich an Opas Keller. Und tatsächlich gab es dort auch eine heimliche Fundgrube für Bücher.
Tief im Herzen des Einkaufszentrums war ein Buchladen mit einem äußerst konventionellen Angebot. Eine breite Palette von Klassikern – aber nur wenige Bestseller. Viele Werke über östliche Religionen – aber wenige Bibeln. Ein Zeitungsstand quoll über von Zeitungen und Magazinen aus Europa – die lokale Presse fehlte völlig. Da ich kein Geld für Bücher hatte, wurde ich ein Meister im Schmökern. Ich brachte mir selbst bei, wie man einen Roman in fünf Sitzungen best und eine Zeitschrift in einer halben Stunde überfliegt Niemand schimpfte mich, weil ich herumlungerte, oder wollte mich verjagen, denn es war nie jemand da. Die Kasse war immer unbesetzt.
Als ich eines Tages in einer französischen Zeitschrift Models beäugte, blickte ich auf und sah eine Reihe Kunden, die sich von der
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