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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Ich sah hoch und da waren sie, an Haken über dem Verkäufer, kleine Schachteln mit Schattenrissen von Paaren, die sich gerade auf den körperlichen Liebesakt vorbereiteten. Erleichtert ließ ich die Schultern sinken, dann stellte ich mich gerade hin. Wenn Kondome Werkzeuge des Bösen sind, gibt es bestimmt eine Altersgrenze. Sieh lieber zu, dass du älter aussiehst. Ich schnappte mir eine Ausgabe der New York Times.
    »Alles?«, fragte der Kassierer.
    »Ja. Ähm, das heißt, nein. Legen Sie noch ’ne Packung von diesen Kondomen dazu.«
    »Welche?«
    »Medium, schätze ich.«
    »Welche Marke, du Hengst?«
    Ich zeigte darauf. Er legte eine Packung Trojaner auf die Times. Ich schob zwanzig Dollar über den Ladentisch. »Der Rest ist für Sie«, sagte ich. Er schaute mich finster an und gab mir das Wechselgeld.
    Fünfzig Minuten waren vergangen, seit ich Lana verlassen hatte. Vermutlich war sie mittlerweile verrückt vor Angst oder wütend. Auf der Rückfahrt stellte ich sie mir oben auf dem Berg vor. Ich dachte an die Stelle, wo ich sie zurückgelassen hatte, und dabei fiel mir ein, dass ich die Stelle nur durch blindes Suchen gefunden und es fünfundvierzig Minuten gedauert hatte, im Dunkeln den Höcker hoch und runter und drumherum zu fahren. Ich wusste nicht, wie ich je wieder dorthin finden sollte. Während ich schlingernd auf der langen Straße fuhr, die zum Fuß des Berges führte, schaute ich auf den Tacho. Ich fuhr 120 Stundenkilometer, der Hornet zitterte genauso wie ich. Ich dachte schon, der Hornet könnte einen Kolbenfresser kriegen. Ich dachte auch, ich könnte einen Kolbenfresser kriegen. Nichts sah vertraut aus. Aber wie sollte etwas in stockfinsterer Nacht auf einer Bergseite vertraut aussehen? Ich ermahnte mich, langsamer zu fahren und Ruhe zu bewahren, weil ich mich sonst durch einen Verkehrsunfall umbringen würde, und das am gleichen Tag, an dem meine Mutter bei einem Verkehrsunfall fast ums Leben gekommen wäre. Ich stellte mir vor, wie sie aus ihrem Schwebezustand erwachte und der Arzt ihr die schlimme Nachricht mitteilte. Ihr Sohn ist tot. »Aber was wollte er denn am Camelback Mountain?«, würde sie dann schwach fragen.
    Ich erreichte eine bekannte Straßengabelung, konnte mich aber nicht entsinnen, ob Lana und ich links oder rechts abgebogen waren. Ich entschied mich für links, drückte das Gaspedal durch und merkte, dass mein Fuß eingeschlafen war. Die Kaktusstacheln in meinem Knie sonderten ihr Gift in meinen Blutkreislauf ab, und das hieß, man würde mir das Bein amputieren müssen. Im Fahren versuchte ich, die Stacheln aus der Kniescheibe zu ziehen und studierte gleichzeitig ein, was ich Lanas Vater sagen würde. Er würde mich entweder umbringen – ich erinnerte mich, er war früher Außenverteidiger bei den Chicago Bears – oder mich verhaften lassen.
    Ein noch schaurigeres Szenario nahm Gestalt in meinem Kopf an. Vielleicht war Lana, nachdem sie dachte, ich sei verrückt und hätte sie im Stich gelassen, einfach davongelaufen, hatte sich verirrt, war im Dunkeln gestolpert und in eine mit Schlangen und Eidechsen und wilden Luchsen gefüllte Schlucht gestürzt. Gab es in Scottsdale überhaupt wilde Luchse? Wahrscheinlich. Und vermutlich zog sie der Geruch von Blut an. Ich erinnerte mich an den Kratzer auf Lanas Bein. Wenn die Polizei Lanas übel zugerichteten Leichnam fand, würde niemand glauben, dass sie bereitwillig oben auf dem Berg auf mich warten wollte, während ich Kondome besorgen ging. Jeder würde glauben, ich hätte Sex verlangt und Lana hätte sich geweigert, also hatte ich sie umgebracht. Ich fuhr schneller und spürte das taube Gefühl in meinem Knie bis zur Hüfte ausstrahlen. Ich würde nicht nur wegen Mordes im Knast landen, nicht nur mein Bein verlieren, vielmehr würden die Häftlinge im Hof mir jeden Tag die gleiche Frage stellen: Wie hast du dein Bein verloren? Es wäre poetische Gerechtigkeit und göttliche Vergeltung für all mein Jammern über Leute, die wissen wollten, wofür JR stand, genauso wie diese Nacht göttliche Vergeltung dafür war, dass ich vögeln wollte, während meine Mutter in einem Krankenhausbett lag, verbunden und kaputt und unter schweren Medikamenten in einem Loch schwebend.
    Immer wieder fuhr ich an denselben Häusern vorbei, denselben Kakteen. Ich fuhr im Kreis, drehte ständig Runden um den Höcker. Ich war nicht einmal sicher, ob ich mich auf dem richtigen Höcker befand. War es der erste oder der zweite Höcker? Um meine Nerven zu

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