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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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beruhigen, schaltete ich das Radio ein und dachte an meinen Vater. Ich verfluchte ihn. Ich haute aufs Radio. Wäre mein Vater für mich da gewesen, hätte ich über Kondome Bescheid gewusst und das alles wäre nicht passiert! Wenn er ein Kondom benutzt hätte, wäre das alles nicht passiert! Ich hielt am Straßenrand, legte den Kopf aufs Steuer und weinte. Von irgendwo tief aus meinem Inneren drangen heftige erschütternde Schluchzer für meine Mutter, für mich und für Lana, die in diesem Augenblick bei lebendigem Leib von wilden Luchsen verspeist wurde.
    Mir fiel die Geschichte von Hemingway ein, die ich für Bill und Bud hatte lesen müssen: »Schnee auf dem Kilimandscharo«, und die erste Zeile über den Berggipfel, genannt das Haus Gottes, wo der getrocknete und gefrorene Kadaver eines Leoparden lag. »Niemand weiß, was der Leopard in jener Höhe suchte«, schrieb Hemingway. Worauf wollte diese verdammte Geschichte hinaus? Wollte sie sagen, dass Neugier die Raubkatze umgebracht hatte? Wollte der Leopard einfach nur vögeln? Sahen Leoparden so ähnlich wie Luchse aus? Wozu Geschichten lesen, wenn sie einem keine praktische Hilfe in Notfällen wie diesem lieferten? Ich überlegte, ob ich Bill und Bud anrufen sollte, aber ich hatte ihre Privatnummern nicht. Dann dachte ich daran, im Publicans anzurufen. Natürlich! Das Publicans! Onkel Charlie oder Steve könnten mir bestimmt sagen, was ich tun soll. Dann hörte ich sie fragen, was ich am Gipfel des Camelback Mountain trieb, wenn meine Mutter im Krankenhaus lag, und ich hörte sie außerdem lachen. Der Kleine will seine Unschuld verlieren – und stattdessen verliert er das Mädchen! Da ging ich lieber das Risiko mit Lanas Vater und den Ermittlern der Mordkommission ein, bevor ich mich den Männern im Publicans stellte.
    Vor mir entdeckte ich einen Briefkasten, der aussah wie eine rote Scheune. Lana hatte eine Bemerkung über den roten Briefkasten gemacht, als wir daran vorbeifuhren. Wie niedlich, hatte sie gesagt und darauf gezeigt, dann war ich links abgebogen, fiel mir ein. Also bog ich wieder links ab und sah ein vertrautes Haus mit einem Wagenrad im Vorgarten. Dann einen Kaktus mit ungewöhnlich vielen Armen, der mich an Jedd erinnert hatte – und dann kam der Schotterweg, der am Hang neben der besonderen Stelle endete.
    Ich sprang aus dem Wagen und brüllte nach oben. »Lana!« Keine Antwort. »Laaanaaa!« Ich versuchte wie Tarzan zu klingen. Ich versuchte wie Brando zu klingen, wenn er »Stelllaaa« brüllte, aber ich Hang eher wie Costello, der »Hey Abbott!« rief. Vielleicht wollte sie mir nicht antworten. Meine einzige Hoffnung. Bitte Gott, lass sie wütend sein, aber lebendig. Bevor ich nach oben kletterte, kam mir ein anderer Gedanke, an den ich mich immer mit Staunen und Scham zugleich erinnerte. Wenn Lana noch da ist und noch lebt, kann ich ihr vielleicht alles erklären, mich entschuldigen und vielleicht können wir-- es dann doch noch machen. Allerdings sollte ich dann lieber jetzt das Kondom anlegen. Da ich noch nie ein Kondom gesehen hatte, brauchte ich Licht, um es mir überzustülpen, und das einzige Licht auf diesem dunklen Berggipfel bot der Hornet. Ich stieg wieder ein, knipste die Deckenleuchte an und öffnete die Kondompackung. Keine Anleitung. Ich legte mir ein Kondom auf den Finger. Wie konnte ein derart kleines Ding beim Liebesakt halten? Ich hatte keine Ahnung und auch nicht die Zeit, es herauszufinden. Ich stülpte das aufgerollte Kondom über meinen schlaffen Penis wie eine Baskenmütze, dann machte ich mich zum Gipfel auf.
    »Lana!«
    Meine Stimme hallte über den Berg.
    »Lana!«
    Fast zwei Stunden waren zwischenzeitlich vergangen.
    »Laaaaana!«
    Ich hatte stechende Schmerzen im Bein und ich konnte mein Knie nicht beugen, weshalb der Aufstieg länger dauerte. Oben angelangt, hievte ich mich mit einem Klimmzug hoch und spähte nach vorn. Lana lag eingerollt wie ein Fötus am anderen Ende der Klippe und schlief. Ich kroch zu ihr. Sie wachte auf und griff nach mir. Ihr Atem roch nach Kaugummi und Bier. »Hast du gerufen?«, fragte sie und küsste mich. Sie zog mich auf sich, Ich konnte mich kaum auf meinem tauben Bein abstützen, aber sie half mir, führte mich. »Genau – hier«, flüsterte sie.
    Ich war in ihr. Dann tiefer. Sie schaukelte mich vor und zurück, zeigte mir, wie es ging, bis ich es verstand. Ich blickte über das Tal, die vielen Lichter, die vielen Häuser, die vielen Fenster, in die ich als Junge gespäht hatte.

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