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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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achtzehn, Chief.«
    »Seit wann?«
    »Vor fünf Tagen.«
    Ich reichte ihm meinen Führerschein. Er sah ihn kurz an. Dann öffnete sich sein Gesicht zu diesem breiten Grinsen, wie es mir von früher noch so lebhaft in Erinnerung war. »Gott, langsam werde ich wohl alt«, sagte er. »Willkommen im Publicans.«
    Sein Grinsen wurde noch breiter. Ich lächelte ebenfalls, so lange, bis mir die Wangen wehtaten. Wir schwiegen beide. Ich rieb meine Hände aneinander und überlegte, ob ich etwas sagen sollte, irgendeinen Spruch, den man von sich gab, wenn man zum ersten Mal offiziell Alkohol trinken darf. Ich wollte das absolut Richtige sagen, um Steve gerecht zu werden. Und seinem Lächeln.
    Da kam Onkel Charlie zurück.
    »Junior ist jetzt ein Mann«, sagte Steve zu ihm. »Ich weiß noch, wie er hier rein kam und gerade mal so groß war.« Er hielt seine Hand an die Hüfte.
    »Der verdammten Zeiten Flügelschlag«, rezitierte Onkel Charlie. »Gib Junior einen auf mich aus.«
    »Neffe, du wirst von Chief gedeckt«, sagte Onkel Charlie.
    Steve klopfte mir fest auf den Rücken, als stecke mir ein Crouton im Hals, und ging dann weiter. Ich sah Onkel Charlie an, Joey D, Cager, sämtliche Männer und betete, dass niemand gehört hatte, als Steve mich Junior nannte. Das Einzige, was den Leuten im Publicans noch bleibender anhaftete als die Wahl des Cocktails, war der Spitzname, den Steve ihnen verlieh, und seine Taufen konnten brutal sein. Nicht jeder hatte so viel Glück wie Joey D, der nach einer von Steves Lieblingsgruppen benannt war, Joey Dee and the Starliters. No-Drip hasste seinen Kneipen-Namen. Auch Sooty wäre gern anders genannt worden. Aber Pech gehabt. Sooty, der als Mechaniker in einer Autowerkstatt arbeitete, machte den Fehler, gleich nach Feierabend im Publicans einzukehren. Als Steve ihn sah und brüllte: »Seht mal, da kommt Sooty«, wurde der arme Mann nie wieder anders genannt. Eddie the Cop hatte nichts gegen seinen Spitznamen, bis er einen Unfall auf der Schnellstraße hatte und von der Hüfte abwärts gelähmt war. Danach hieß er Rollstuhl-Eddie. Im Publicans war man der, zu dem man von Steve gemacht wurde, und wehe dem, der sich darüber beklagte. Ein armer Kerl wollte, dass die Männer in der Kneipe ihn nicht mehr Speed nannten, weil die Leute nicht denken sollten, er hätte ein Drogenproblem. Also tauften die Männer ihn Bob Don’t Call Me Speed und ließen keine Gelegenheit aus, diesen Spitznamen zu verwenden.
    Beruhigt, dass niemand Steve gehört hatte – die Männer plapperten bereits über andere Themen – lehnte ich mich entspannt an die Theke. Onkel Charlie füllte meinen Martini auf. Ich trank ihn aus. Er füllte wieder nach und beglückwünschte mich zu meinem Stoffwechsel. Hohles Bein, sagte er. Muss in der Familie liegen. Ich trank den Rest aus, und noch ehe ich das Glas abstellte, war es wieder voll. Im Publicans füllten sich die Gläser wie von Zauberhand, genau wie die Bar. Kaum gingen fünf Leute hinaus, spazierten zehn herein.
    Fuckembabe kam und freute sich, mich zu sehen, glaube ich. »Weißt noch, wie du mich damals mit ’nem tropfigen Rücken verarscht hast«, sagte er und boxte mich spielerisch. »Erinnerst du dich, wie ich deinen Pullermann mit ’nem Watschklatsch vertrimmt hab? Und dein Onkel hat gesagt, seiner Meinung nach wärst du ein regelrecht echtes, voll drolliges Perlchen von Kerlchen.«
    »Ganz genau, Fuckembabe«, sagte ich.
    Nach meinem dritten Martini legte ich einen Zwanziger auf die Theke, um meinen nächsten zu zahlen. Onkel Charlie schob den Schein zurück. »Geht aufs Haus«, sagte er.
    »Aber …«
    »Neffen von Barmännern trinken umsonst. Immer. Kapiert?«
    »Kapiert. Danke.«
    »Wo wir gerade dabei sind.« Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche, zählte fünf Zwanziger ab und warf sie auf meinen Schein. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Gib einer ätherischen Kommilitonin einen Milchshake aus. Ich darf doch ›ätherisch‹ sagen, oder?«
    Ich wollte das Geld nehmen. Onkel Charlie winkte ab. Falsch, sagte er. Er sah die Theke entlang. Ich folgte seinem Blick. Vor jedem Mann und jeder Frau lag ein Bündel Geldscheine. Sobald du in den Laden kommst, erklärte Onkel Charlie, legst du dein Geld hin, dein ganzes Geld, und lässt den Barmann nehmen, was er im Lauf des Abends braucht. Auch wenn der Barmann dein Onkel ist und dein Geld nicht anrührt. »Eine alte Tradition«, sagte er. »Protokoll.«
    Gegen Mitternacht drängten sich mehr als hundert

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