Tenebra 1 - Dunkler Winter
wankte ziellos seitwärts, kam über die Böschung und fiel in die Brandung. Der Letzte geriet in den herausgebrochenen Mauertrümmern aus dem Gleichgewicht, fiel auf den Rücken, kam wie durch eine gespannte Feder gleich einem Schnellkäfer wieder auf die Beine und lief mit erstaunlicher Geschwindigkeit ziellos hierhin und dorthin und landeinwärts durch die Kette der Bogenschützen, die aus der Dunkelheit auf uns schossen. Wir konnten ihre warnenden Zurufe hören.
Und gleich darauf unsere eigenen. Die tiefen Aushöhlungen am Fuß der Mauer hatten diese insgesamt geschwächt, und nach einem kurzen, Unheil verkündenden Rumpeln und Poltern unter uns sackte der Wehrgang, auf dem ich stand, plötzlich weg und löste sich in einer Steinlawine auf, die mit prasselndem Getöse abging. Der flankierende Turm ächzte dumpf wie ein lebendiges Wesen.
Ich hatte glücklicherweise am Rand dieses Einbruchs gestanden und konnte Silvus noch rechtzeitig zu mir ziehen und an der nächsten noch stehenden Zinne Halt finden. Dann rannten wir zur nächsten Bastion, als die Einbruchstrecke sich durch nachrutschende Teile der Mauerkrone und des Wehrgangs verbreiterte.
Fünfzig der Verteidiger hatten auf diesem Mauerabschnitt gestanden, als er zusammenbrach - der zwanzigste Teil der gesamten Garnison. Und die Trümmer fielen nicht nur nach außen. Mauersteine, Schutt und große Quader krachten in den äußeren Hof und jagten unsere Kompanie auseinander, die dort bereitstand, die Verteidiger abzulösen. Silvus schrie mir etwas zu und zeigte zur nächsten Treppe, die vom Wehrgang hinabführte. Die Verteidiger dieses Mauerabschnitts waren alarmiert; unser Platz war jetzt unten auf dem Hof, wenn die Angreifer versuchten, die Bresche zu stürmen.
Das war in der Hitze des Gefechts gedacht, griff aber zu kurz. Die Schwestern waren vorsichtiger und wurden in ihrer Einschätzung der Lage wohl auch eher gerecht. Was von unserer Kompanie übrig geblieben war, kam uns auf der Treppe entgegen. Unten auf dem Hof verbarrikadierten sie bereits die innere Tür zum Hof mit massiven Balken. Die äußere Mauer wies jetzt eine große Bresche auf, aber Ys hatte mehrere Mauern. Und der Ansturm des Dunkels kam, wenn auch etwas später als erwartet.
Die Schwestern hatten den offenen äußeren Hof leer geräumt, die Türen zu den flankierenden Türmen verbarrikadiert und abgestützt, und bezogen Stellung auf den Wehrgängen ringsum. Der Hof sollte zur Mausefalle für die Angreifer werden.
Es gab eine Atempause, der die stinkende, rußige Luft nicht zum Vorteil gereichte, einen Blick hinauf zur halb verdeckten Mondsichel und ein Stoßgebet um Hilfe - und dann brach der Sturm los.
Mit Kriegsgeschrei und rhythmischem Gesang arbeiteten sie sich den Schutthang hinauf, der einst die mächtige äußere Festungsmauer gewesen war. Manche Trupps trugen Leitern und Enterhaken, die anderen schwangen ihre Waffen. Sie schwärmten über die zerbrochenen Ränder der eingestürzten Mauer, ein wüster Sturmhaufen, rot im Schein der Fackeln, blinkenden Stahl in den Fäusten.
Aber dann, als sie den Hof gewonnen hatten und gegen die inneren Türen schlugen, ging ihr Kriegsgeschrei in schrillem Geheul unter. Ein Hagel von Geschossen überschüttete sie von drei Seiten, und von den Mauern, an die sie ihre Sturmleitern legten, ergoss sich flüssiges Feuer. Der äußere Burghof wurde zur Falle, in die sie sich stürzten, als wäre der Sieg in greifbarer Nähe.
Keuchend wuchteten Silvus und ich ein Fass des Brandöls auf die Brustwehr. Es musste ungefähr zehn Herzschläge lang aufrecht stehen, bevor es geöffnet wurde, um der Schutzflüssigkeit Gelegenheit zu geben, die Oberfläche zu bedecken. Andernfalls würde das Brandöl wegen der Beimengung von weißem Phosphor in Flammen aufgehen, sobald das Fass geöffnet wurde. Aber was machte es schon? Wir stemmten das Fass zwischen zwei Zinnen über dem Ende einer Sturmleiter, die gerade erschienen war, Silvus schlug mit einem Streitkolben den Deckel ein, und wir entleerten es über die Leiter und stießen es hinunter. Ein Poltern und Krachen, Schreie und ein gewaltig aufflammendes Feuer. Unter uns wurden die Schreie zahlreicher, brennende Lebewesen wälzten sich in Todesqual. Wir grinsten einander wölfisch an.
Rufe hinter uns. Ein Durchbruch? Aber als wir uns umwandten, zeigten sie zum Himmel. Wir spähten hinauf und sahen den Flugdrachen durch die Nacht segeln, schemenhaft und schwarz.
Ein glockenheller Sopran rief Befehle. Ich
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