Tenebra 1 - Dunkler Winter
hatte ich dem Grafen nicht geholfen. Ich kam zurecht.
Ich zog mich in den Sattel, Silvus saß auf, das Fuhrwerk setzte sich schwankend in Bewegung.
»Du übernimmst den Fluss«, sagte Silvus. »Ich werde mit der Schwester tauschen.« Und er trabte davon.
Wir nahmen die Marschordnung ein. Es regnete etwas weniger. Ich fühlte mich gut.
Im Laufe des Nachmittags ließ der Regen allmählich nach. Da und dort stießen Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke, und die Pferde dampften. Wir auch. Ich konnte meinen Umhang öffnen und darüber nachdenken, dass ich erst den Anfang der Herbstregen sah. Es würde noch schlimmer kommen.
Das galt auch für die Straße, soweit man davon reden konnte. Wir kamen an Schafhürden vorbei, die zur Sommerweide aufgestellt worden waren und jetzt verlassen dalagen; sie waren der einzige Hinweis auf menschliches Leben, abgesehen von dem Fahrweg. Dieser verlor sich bald darauf in Moor und Heide, und unsere Vorhut übernahm neue Pflichten und schlug weitere Bogen, um eine befahrbare Strecke zu erkunden. Das verlangsamte unseren Marsch.
Schwester Winterridge war zum Fuhrwerk zurückgefallen, um ihr Pferd zu schonen. Sie saß ab und führte ihr Pferd am Zügel. Es war ihre tägliche Übung. Vier Stunden später war sie noch immer dabei.
Ich fragte mich, was sie von uns denken mochte. Die weite Reise auf sich zu nehmen, um beinahe von Barras abgestochen und von Sandasti überfallen zu werden -und wofür? Um die ganze Strecke zurück zu marschieren und eine Verstärkung von neun Mann nach Ys zu bringen. Wenn ich die zusammengesunkenen Gestalten auf ihren struppigen Pferden betrachtete, schien es mir kaum der Mühe wert.
»Was ist kaum der Mühe wert?«, fragte sie mit einem Blick über die Schulter. Ich merkte, dass ich laut gedacht hatte. Sie wartete, bis ich gleichauf mit ihr gekommen war.
»Was Sie auf sich genommen haben, um uns zu holen.«
Sie blickte zu mir auf. »Ich beklage mich nicht über den Handel«, meinte sie. »Aber wir haben heute nur fünf Meilen geschafft, und von hier an geht es noch langsamer voran. Ich wünschte, wir könnten schneller marschieren.«
»Ist es so dringend?«
»Wenn man es mit dem Dunkel zu tun hat, ist es immer dringend.« Sie schwang sich wieder aufs Pferd. »Ein Stück voraus ist ein guter Lagerplatz. Ich werde ihn Silvus zeigen.« Ein Kniedruck, und ihr Pferd trabte an und ließ das Fuhrwerk und mich hinter sich.
Sie überholte den Grafen. Ich betrachtete seinen Rücken und wunderte mich, warum ich nie auf den Gedanken gekommen war, dass er so viel unbeugsame Entschlossenheit und Beharrlichkeit in sich hatte. Sein Vater hatte jedenfalls nichts davon gehabt und war zu Haus geblieben, statt mit seinen Standesgenossen ins Feld zu ziehen. Sein Sohn zahlte dafür mit der allmählichen Auszehrung seiner Selbstachtung. Ich würde es schwer erträglich finden, ständig von einem Mann wie Nathan beobachtet zu werden, der nur darauf wartete, dass ich einen Fehler machte.
Nun, vielleicht war diese Reise für uns alle ein Fehler. Nur sah ich keine andere Möglichkeit. Nathan würde sich die Hände reiben, wenn wir jetzt umkehrten.
Am Abend schlugen wir unser Lager mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen auf, die jeder auf einem Marsch in fremdem Land ergreift: Wir nahmen die Umgebung in Augenschein, so lange es noch hell war, machten Feuer und stellten zwei Wachen auf, die außerhalb des Feuerscheins versteckt und still Augen und Ohren offen hielten. Ich zog zusammen mit Ruanes Knappen Hubert den kurzen Strohhalm: zweite Wache, nicht genug Zeit, vorher oder nachher wirklich auszuschlafen.
Der Lagerplatz lag wieder an einem Bach. Dieser entsprang in einem Torfmoor, einer flachen, linsenförmig erhöhten Fläche von hundert Schritten Durchmesser, angefüllt vom Pflanzenzerfall einiger zehntausend Jahre, die zu Torf und nassem Rohhumus geworden waren. Am unteren Rand floss das überschüssige Wasser als Quelle ab. Wir lagerten unweit davon in einer geschützten, trockenen Mulde. Das Wasser war torfig braun von Schwebstoffen, aber gut.
Dunkelheit und Schlaf - wie das Fallen in eine Grube.
Es war Mitternacht, als ich erwachte, nach der Stellung des Jägers am Himmel. Seltsam, wie schnell man wieder in Gewohnheiten zurückfällt, die einst ein fester Bestandteil des Lebens gewesen sind. Ich hatte mein Leben immer in Wachen eingeteilt, geradeso wie ich immer imstande war, in meine Rüstung zu steigen, bevor ich noch richtig aufgewacht war.
Als ich ihn suchen ging,
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