Tenebra 1 - Dunkler Winter
Befehle und eine Wachliste. Und den Namen des Offiziers, dem wir unterstellt werden.«
»Ach so, ja, nachdem Sie eine unabhängige Gruppe für sich sind… nehme ich an, dass es die Priorin selbst sein wird. Sie wird entscheiden, welche Wachen Sie übernehmen werden. Sie können die Priorin zur Essenszeit sprechen. Sie speist mit den anderen im Saal, es sei denn, sie würde selbst eine Wache übernehmen.«
Silvus nickte, der Mann ging, und wir hatten Zeit, unser Quartier zu erkunden. Der Saal war eine Art Dachboden, und die für unsere Strohsäcke vorgesehene Fläche schien ziemlich beengt. Der größte Teil des Dachbodens diente als Lagerraum.
Große Fässer standen aufgereiht. Sie enthielten Essig und gewöhnliches Wasser, wie ich an den Zapfhähnen riechen konnte. Außerdem waren Kisten mit unbekanntem Inhalt, Taurollen und Gerätschaften verschiedener Art eingelagert. Die Decke über uns war aus festen Quadern gemauert und als Kreuzrippengewölbe ausgeführt. Eine schmiedeeiserne Leiter führte zu einer Falltür hinauf. Ich erkletterte sie und versuchte die Falltür mit den Schultern aufzustemmen, aber sie gab nicht nach. Sie war verriegelt.
Nach einer Weile hatte ich im Halbdunkel den Riegel gefunden und zurückgezogen, und diesmal ließ die Falltür sich aufstoßen. Ich stieg hinaus und fand mich auf dem Dach des Bergfrieds der Festung Ys, wie ein Wurm, der aus einem Apfel kriecht. Silvus folgte mir. Er ging zur zinnenbesetzten Brustwehr und blickte hinunter.
Es war Nacht geworden. Die Brandung am Strand und um die Felsen lag im Mondlicht wie silberweiße Spitze am Saum eines tiefblauen Gewandes. Sterne glitzerten unvorstellbar weit über uns. Tief zu unseren Füßen und landeinwärts zeigten orangerote Glutnester, wo der Orden seine eigene Stadt niedergebrannt hatte. Etwas weiter zur Linken mündete der träge strömende Fluss in die See, wo feine Wellenriffel im Mondlicht schimmerten. Im Vordergrund ragten die Mauern von Ys auf, schwarz und eckig, belebt von den gelben Lichtpunkten der Laternen, wo die Wachen die Brustwehren abschritten und in die Dunkelheit hinausspähten.
Einen Augenblick lang kam mir der Gedanke, wie es sein würde, wenn ich allein an diesem Platz auf dem Bergfried stünde und das Dunkel unter mir die Treppe heraufdrängte. Ich schüttelte mich und machte das alte Zeichen der Landleute zur Abwehr des Bösen. Der Nachtwind wehte kalt von der See herein, ein Westwind, der die Flotte des Dunkels bald nach Ys tragen würde. Silvus blickte in die gleiche Richtung.
»Kannst du im Wind das Dunkel wittern?«, fragte ich ihn, und er schüttelte den Kopf.
»Nein. Glücklicherweise nicht. Ich möchte heute Nacht schlafen.«
Gleichwohl blieb er eine Weile dort stehen und hob die Nase in den Wind. Nichts. Ich zog meinen Umhang fester um mich und er verstand die Andeutung. Wir stiegen hinunter und sorgten dafür, dass die Falltür hinter uns geschlossen und verriegelt wurde.
Unser Gepäck war bereits heraufgeschafft worden und wir quartierten uns ein. Eumas legte sich auf seinen Strohsack und starrte zur Decke. Raol beobachtete ihn kopfschüttelnd und machte sich daran, Pfeile wieder herzurichten, die er geborgen hatte.
Silvus machte eine auffordernde Kopfbewegung zu mir. »Komm mit«, sagte er. »Wir sollten gehen und uns zum Dienst melden.«
Wieder die Wendeltreppe hinab, die sich links herum drehte, sodass der abwärts gewandte Verteidiger Bewegungsfreiheit für den Schwertarm haben würde, während der andere behindert wäre. Wir passierten die beiden Schlafsäle, dann die Eingangsebene und kamen hinunter ins Erdgeschoss. Hier befanden sich der Speisesaal und die Küche. Wenn die Festung von Ys älteren Vorbildern folgte, dann würde unter diesem Geschoss der große Lagerkeller liegen, riesige überwölbte Räume, vollgestopft mit Lebensmittelvorräten für eine Belagerung. Und ein Brunnen. Waffen und Ausrüstungen. Kerker? Folterkammern? Irgendwie bezweifelte ich es. Schwester Winterridge hatte erzählt, es gäbe eine Bibliothek, doch lag diese wahrscheinlich nicht in einem Kellergeschoss.
Wir erreichten einen Treppenabsatz, wo Silvus den Eingang zum Speisesaal fand, der von einer Wächterin bewacht wurde. Silvus zeigte ihr ein Papier und wir wurden eingelassen.
Der Speisesaal wirkte schmucklos und kahl unter einer Gewölbedecke. Lange Tafeln und Bänke füllten ihn aus, und es gab kein Podium für die Tafelmusik und keinen hervorgehobenen Tisch für die Priorin und ihre
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