Tenebra 2 - Dunkle Reise
fiel mir das Zäpfchen-r ihrer Aussprache auf. Ich hatte es schon öfter gehört. Sie musste aus dem Wendland stammen, oben am anderen Zweig des Wydem, weiter östlich. Und nach dem Ton ein Mädchen vom Lande sein. Es ärgerte mich.
»Ich bin auf einem Bauernhof geboren und aufgewachsen«, sagte ich zu ihr. »Keinem großen, und nicht hier in der Gegend. Aber ich war schon beim Steinelesen draußen auf den Feldern, bevor ich sechs Jahre alt war…«
Endlich hatte sie sich mir zugewandt. Ihre Augen wurden schmal, denn ich hatte eine breitere Aussprache angenommen und klang eher wie ein Bauer als ein Edelmann. Ah, ein Fortschritt. Wenigstens war sie jetzt interessiert.
»Aber ein Gewitter ist so… zufällig«, sagte sie. »Gewiss bringt es Regen für einige. Aber andere, die ein paar Meilen weiter entfernt leben, bekommen vielleicht nichts, während die in der Mitte des Wolkenbruchs vielleicht so viel bekommen, dass die Erde fortgeschwemmt und das Getreide zu Boden gedrückt wird. Es ist immer so ungerecht.«
Ich zuckte mit der Schulter. »Immerhin besser als die Trockenheit, die das Getreide vor der Reife ausdörrt, und der Hunger, der darauf folgt. Nachbarn können helfen, aber nur, wenn sie selbst etwas haben. Und wie der Würfel auch fallen mag, es ist besser als überhaupt keine Chance.«
»Am besten ist es immer noch, leichten Regen zur rechten Zeit zu haben.«
Es klang nachdenklich, aber unter den Worten lag etwas, was ich wiedererkannte. Sie sprach, wie ich manchmal mit Silvus sprach, in einer Art Kode, der einen ganz anderen Gegenstand behandelte und eine andere Bedeutung hatte. In diesem Fall sprach sie jedoch nur für sich selbst. Ich suchte angestrengt nach etwas, was das Gespräch in Gang halten würde.
»Es kann nicht immer so sein. Die Götter geben, aber nach ihrem eigenen Plan. Manchmal bieten sie nur eine schmerzhafte Wahl. Und wir müssen nehmen, was sie bieten.«
Sie befeuchtete ihre Lippen und hob die herabhängende rechte Hand in der ersten freien Geste, die ich bei ihr gesehen hatte. Und sie sah mich aufmerksam an. »Manchmal… manchmal ist es sehr schwierig, die Gabe zu sehen, und noch schwieriger, die Wahl zu treffen.«
Wieder galt der Kode unter ihren Worten ihr selbst, nicht mir. Sie blickte zum Heck. Ich folgte ihrer Blickrichtung und sah, dass Silvus halb abgewandt von Grames stand, ihm die kalte Schulter zeigte, während der kleine Mann mit gesenktem Kopf stand, finster auf das Deck starrte und die Unterlippe vorgeschoben hatte.
»Wie lange kennen Sie schon Meister Grames?«, fragte ich, einer plötzlichen Regung folgend.
Sie bewegte sich ein wenig. Es war kein Zusammenzucken, nicht ganz, doch als sie sprach, war sie wieder zurückhaltend, förmlich. Ich verwünschte mich selbst.
»Seit meiner Kindheit. Er zog mich auf, könnte man sagen.« Sie blickte wieder zu ihm hinüber. »Er ist immer gut zu mir gewesen«, fügte sie hinzu, als hätte ich ihn in irgendeiner Weise beschuldigt.
Ich hätte sie gern gefragt, was sie unter gut verstand. Und welches ihre Rolle in dieser Erforschung magischer Kräfte sein würde, wie Grames es nannte. Ich war überzeugt, dass sie für das Vorhaben so notwendig war wie wir. Meister Grames kam mir nicht wie ein Mann vor, der sich mit unerwünschtem menschlichem Ballast belastete.
Aber die Frage würde sie erneut abschrecken. Es war nicht die Zeit, sie vor Grames zu warnen. Und als mein Blick auf ihm ruhte, hob Grames den Kopf und starrte mir aus zwanzig Schritten Abstand ins Gesicht. Seine Augen verengten sich, dann lächelte er. Jeder würde denken, es sei ein höflicher Gruß, aber ich begann ihn zu durchschauen.
Er sagte etwas zu Silvus und machte seine ruckartige kleine Verbeugung. Silvus nickte, und Grames kam nach vorn auf uns zu. Er passierte das Ruderhaus, bog aber ab und stieg durch die Luke den Niedergang hinunter, ohne mit uns zu sprechen. Gleich darauf hörte ich seine Stimme. Wer war noch dort unten?
Ein paar Augenblicke später war die Frage beantwortet. Barras kam den Niedergang herauf und grinste mir zu.
»Da bist du ja, Will. Ist es dir warm genug?« Barras ließ nie einen Gemeinplatz aus. Arienne trat zurück; sie senkte den Kopf und legte die Hände zusammen. Er sah es. »Oh, Verzeihung. Habe ich etwas unterbrochen?« Es hörte sich nicht entschuldigend an.
»Überhaupt nicht, Georghe«, erwiderte ich in dem Tonfall, der meint: Verschwinde, Georghe. Sein Grinsen wurde nur noch breiter. »Bist du Fräulein Brook schon
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