Tenebra 2 - Dunkle Reise
von Blöcken und Geröll erfülltes Trockenbett entlang.
»Da«, sagte sie, und die Erleichterung ihrer Stimme war nicht zu überhören. Wieder konnte ich nichts sehen. Rufe von oben. Sie mussten den Wächter und das Seil gefunden haben. Jemand rief nach Lichtern. Ich erkannte Georghe Barras' zarte Stimme. Er klang ziemlich verärgert. Sogar aufgeregt.
Plötzlich blieb Arienne stehen. Sie befühlte einen Felsblock von der Größe einer Aussteuerkiste, die auf der Schmalseite stand. Er sah nicht anders aus als hundert ähnliche.
»Zehn, drei. Schlussstein nach rechts und aufwärts«, murmelte sie.
»Wir müssen…«, fing ich an. Silvus schüttelte den Kopf und ich verstummte. Was wusste ich?
Behutsam legte sie die flache Hand an den Stein, fühlte herum, als suchte sie nach einer besonderen Stelle, ging dann zwei abgemessene Handspannen und drei Finger hinauf. Eine Bewegung, ein Druck, ein Zug.
Getrampel über uns am Hang, rasselnder Steinschlag losgetretenen Gerölls.
Der Felsblock drehte sich lautlos auf ungesehenen Lagern und gab ein Loch frei, schwarz und nach Erde riechend.
»Hinein, schnell«, zischte sie.
Mir war nicht nach einer Debatte zumute. Fünfzig Schritte über uns trampelten die Verfolger über das Geröll und stocherten zwischen den Büschen. Sie kamen rasch näher. Ich duckte mich, ohne den stechenden Schmerz in meiner Seite zu beachten, und kroch im Entengang hinein. Silvus folgte mir – und sie bildete den Schluss. Der Block drehte sich lautlos, und mit einem leisen Klick verschwand das Sternenlicht. Der Eingang war geschlossen.
Es war stockdunkel, so dunkel, wie es nur unter der Erde sein kann. Und still. Selbst eine ruhige Nacht kennt das leise Rascheln des Windes im Gras, die Grillen, das Geraschel kleiner Tiere. Hier gab es nichts außer vielleicht dem weit entfernten Tropfen von Wasser. Trotzdem widerhallte es. Auch der Atem klang hohl, als läge ein weiterer Raum vor uns. Aber es war still. Still wie das Grab.
Und dann berührte eine kühle, glatte Hand meinen Arm.
Ich schrak zusammen und versuchte zurückzuweichen. Mein Kopf schlug gegen unnachgiebigen Fels, und ich machte die Erfahrung, dass es in der schwärzesten Finsternis doch Lichter gibt. Jedenfalls sah ich sie, selbst wenn niemand sonst es konnte.
»Halt still«, zischte Arienne. »Er ist ein Freund. Eine Art Freund, denke ich.«
Die Hand strich über mein Gesicht, die Arme, federleicht. Sie fand den Dolch in meinem Stiefelschaft und zog ihn heraus. Dann gab es ein Klicken, das mir bekannt vorkam: Jemand entspannte eine Armbrust.
Dann flammte in der Schwärze ein Funke auf. Eine Lampe von der Größe eines Eierbechers erzeugte eine bohnengroße Flamme, die uns nach dem völligen Fehlen von Licht wie ein Freudenfeuer erschien.
Und ich sah einen Kobold vor mir.
KAPITEL VIII
Kein Zweifel war möglich. Er war von niedrigem Wuchs, hatte große Augen von durchsichtigem Rosa, und seine Haut war wie glänzendes Ziegenleder von dunkelroter Farbe. Überdies war er völlig kahl. Man konnte es sehen, weil seine offene Weste und der Lendenschurz nicht viel bedeckten, wenn man in Betracht zog, dass es draußen kalt war. Wahrscheinlich ging er nicht viel hinaus. Ich würde es auch nicht tun, wenn Leute wie Georghe Barras dort ihr Unwesen trieben.
Der Gedanke an ihn ließ es mir hier recht angenehm erscheinen. Wir waren aus dem schneidend kalten Wind heraus, die Luft war kühl und trocken, weitaus freundlicher als die scharfe Kälte der nördlichen Herbstnacht. Hier war es wie bei jemandem zu Hause.
Was mir wieder den Hausherrn in Erinnerung rief, der mich und dann Arienne musterte. Sie starrte ausdruckslos zurück. Als sein Blick sich wieder mir zuwandte, glaubte ich etwas tun zu müssen, um das Eis zu brechen, sonst würden wir womöglich die ganze Nacht dastehen und einander anstarren. Ich lächelte ihm zu und räusperte mich.
Er sprang zurück, und seine Hand fuhr zum Knauf der kurzen Klinge, die er in einer Scheide am Gürtel trug. In der anderen Hand lag der Dolch, den er mir abgenommen hatte. Er kam hoch, die Spitze voran.
»Keine Bewegung!«, zischte Arienne.
»Ich wollte bloß…«
»Ich weiß es, aber er nicht. Manche Leute verstehen Zähneblecken und Knurren nicht als freundliche Geste.«
Ich blieb still und brachte meine Züge unter Kontrolle. Es war nicht schwierig, weil Lächeln schmerzte.
»Jetzt zeigen wir ihm unsere leeren Hände in Hüfthöhe. Sie auch, Ser de Castro. Legen Sie die Armbrust nieder.«
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