Tenebra 2 - Dunkle Reise
Ablaufwasser von Regenfällen und war sehr geschwächt. Es geht mir aus, und ich möchte etwas in Reserve haben, für alle Fälle.« Sie nickte nach vorn. »Ich spüre ein Vorkommen, wahrscheinlich eine Quelle, hinter der nächsten Anhöhe. Dort werde ich es versuchen.«
Ich nickte. Sie schien gedankenverloren, besorgt. »Wir werden Regen bekommen«, sagte ich, um das Thema zu wechseln. Sie blickte nach Westen, wo sich am diesigen Himmel etwas zusammenzog. Grames, der fünf Schritte entfernt saß, tat es ihr nach. Silvus kümmerte sich um die Pferde, und ich hatte Grames in der Nähe haben wollen, wo ich ihn im Auge behalten konnte. Ich traute ihm so wenig wie einem tollwütigen Schoßhund. Und tatsächlich begann er einem zu ähneln.
Noch immer trug er Geldbeutel und Wasserschlauch mit sich und war in seinen nüchternen Anzug und Umhang gekleidet, aber seine Sachen waren jetzt schweißfleckig und von Dornsträuchern und Brombeeren eingerissen und zerfasert. Beim letzten Regen hatten wir ihm das Öltuch gegeben, doch war es nicht annähernd so wirkungsvoll wie der Tarnstoff, und er war schließlich nass geworden. Sein stets sorgfältig geschnittenes und gekämmtes Haar wirkte jetzt zottig, sein Bart ausgewachsen und unregelmäßig, und er hatte Gewicht verloren. Der runde kleine Bauch schien flach geschrumpft. Aber als er zum Westhorizont blickte, um das aufziehende Wetter zu sehen, bemerkte ich die gleiche tote Ausdruckslosigkeit in seinen Augen, die mir im Palast von Tenabra aufgefallen war. Damals hatte ich ihn für gefährlich gehalten. Und ich hielt ihn auch jetzt für gefährlich.
Wir wanderten weiter. Hinter der nächsten Anhöhe zog die Wegspur eine lange Kurve über die Flanke des Hügels nach links, bevor sie den nächsten Hang wieder nach rechts querte. Auf halber Höhe entsprang eine kräftige Quelle, deren Wasser über die Felsen und Steine sprudelte, über eine Felsbank rieselte und in einem von Gesträuch überwachsenen Bachbett verschwand. Silvus ließ die Pferde weiter unten saufen, während wir zur Quelle hinaufgingen. Arienne tauchte Hände und Arme in das frisch aus der Erde sprudelnde Nass, das voll von Mana war.
Während sie mit geschlossenen Augen an der Quelle kauerte, beobachtete Grames sie, und ich beobachtete beide. Natürlich zog ich es vor, Arienne zu betrachten, die vom Aufenthalt im Freien gebräunt war und deren Haar vom Sonnenlicht noch heller gebleicht schien, als es einmal gewesen war. Nun ringelte es sich in feuchten Locken um ihr Gesicht. Aber auch Grames gab ein reizvolles Bild ab. Er starrte sie an, hungrig wie ein Kater, der einen Vogel beobachtet – und ich machte mir Sorgen. Er kannte sie so viel länger als ich. Auch Eifersucht war mit im Spiel.
Doch je mehr ich ihn beobachtete, desto stärker wurde mir die Natur seines Blickes bewusst. Er starrte nicht wirklich Arienne an. Nein, er beobachtete, was sie tat. Beobachtete ihre Hände, nicht sie selbst. Ihre Hände schöpften Wasser aus der Quelle, die ihr über die Unterarme rann, und sie tauchte ihr Gesicht hinein, um Mana in sich aufzunehmen. Und er beobachtete ihre Hände wie ein verhungerter Bettler einem Koch bei der Arbeit zusieht. Sie hatte etwas, was er brauchte – Talent und Kraft. Der Hunger in seinen Zügen galt nicht ihr, sondern dem, was sie verkörperte. Der Kraft, die sie ausüben konnte, wenn sie es wollte, von der sie aber keinen Gebrauch machte, während er sie ausüben wollte, aber nicht konnte.
Sie öffnete die Augen. Ihre Hände lagen noch im fließenden Wasser, wo sie mit den Fingerspitzen über das vom Wasser geglättete Gestein strich. Dieser Stein war wie ausgehöhlt, aber das konnte auf natürliche Weise durch die abtragende Wirkung des Wassers entstanden sein.
Aber so war es nicht. Sie griff hinter sich, nahm meine Hand und führte sie über den Stein. Dass die Straße eine Krümmung beschrieb, um nahe diesem Quell vorbeizuführen, war kein Zufall. Der Stein war aus dem gewachsenen Fels geformt worden, um ein kleines Becken unter der Quelle zu bilden, offensichtlich so eingerichtet, um Reisenden die Möglichkeit der Erfrischung zu verschaffen. Ein erodierter Rest von gemeißelten Schnörkelornamenten, die einst den Rand des Beckens geziert hatten, war auf einer Seite noch zu erkennen, Hinterlassenschaft eines längst vergessenen Steinmetzen und Künstlers, der sich nicht damit zufrieden gegeben hatte, die Arbeit nüchtern und schmucklos zu gestalten.
Ich hob den Blick und ließ ihn über
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