Tentakel-Trilogie 1: Tentakelschatten
wegen der Kinder. Wir benötigen Notfall- und Evakuierungsprotokolle und müssen diese Dinge üben. Außerdem muss ein Schichtplan für den Wachdienst vereinbart werden. Wir werden hier nicht allzu schnell zur Ruhe kommen. In Kürze werden einige von uns die Station auch wieder verlassen müssen, um an die Depots zu kommen, um die Gegend zu erkundschaften und alternative Nahrungsquellen zu erschließen. Ein Wasserproblem haben wir hier offenbar nicht.«
Li nickte.
»Nein, die Festung hat Zugang zu einem unterirdischen Gebirgsfluss. Nahrung hingegen wird sich nicht unendlich strecken lassen und vor allem die Kinder können wir nicht auf zu geringe Rationen setzen.«
»All dies besprechen wir morgen.«
Der alte Sergent grüßte und zog sich zurück. Für einen Moment stand Rahel verloren auf dem Gang, auf dem sie ihn nach Verlassen der Krankenstation getroffen hatte. Sie fühlte eine gewisse Müdigkeit in sich und sowohl ihre innere Uhr wie auch die an ihrem Handgelenk zeigten, dass sich der Tag bereits dem Ende zuneigte. Die erste Wache war schon eingeteilt, und niemand hatte gemurrt, als sich Rahel eine freie Nacht gegönnt hatte. Sie hatte gekämpft und fühlte, dass der Stress des Tages sowie der Nacht vorher sich bemerkbar machten. Es war lange her, seit sie im Einsatz gewesen war und obgleich manche der automatischen Abläufe in ihr noch problemlos funktionierten, machte sich die mangelnde Übung bemerkbar. Außerdem kamen die Nachwirkungen zum Tragen, die sich einstellten, wenn die Wirkung der Drogen nachließ. Es war kein »Kater«, aber eine gewisse Ermattung, mit der der Körper darauf reagierte, dass er wieder ohne die Mittel auskommen musste. Rahel beschloss, sich selbst einem rigorosen Trainingsprogramm zu unterwerfen. Es war Krieg, und sie musste bereit sein.
Aber auch das wollte sie erst am morgigen Tag angehen.
Jetzt bedurfte sie der Ruhe, und so kehrte sie in die Räumlichkeiten des Festungskommandanten zurück. Auf dem Weg dorthin war sie in Gedanken versunken. Sie merkte nicht sofort, als sie die Tür öffnete, dass etwas nicht stimmte. Mit leicht erstauntem Gesichtsausdruck erkannte sie dann, dass der Raum sich während ihrer Abwesenheit verändert hatte – und das unverkennbar zu seinem Vorteil.
An der Wand hingen zwei Bilder, leicht verblasste Farbposter von Landschaftsaufnahmen. Das Bett mit seiner kahlen Schaummatratze war bezogen worden. Auf dem Esstisch stand eine Vase mit einer Plastikblume, die jedoch bemerkenswert echt aussah. Ihre Tasche mit Kleidung und Uniformteilen war ausgeräumt und in den hohen Wandschrank einsortiert worden. Ausrüstungsgegenstände lagen auf dem Waffentisch, sorgsam aufgereiht, aber offenbar von jemandem sortiert, der sich nicht über die Bedeutung aller Gegenstände im Klaren war.
Ein süßlicher, sehr angenehmer Duft durchzog die Luft, und Tooma erinnerte sich daran, an wem sie dieses Parfum schon einmal wahrgenommen hatte, ehe ihr Blick auf Nedashde fiel, die sie einladend anlächelte.
Ein weiterer Duft schwebte an ihre Nase. Abendessen, und das auch noch warm. Rahel stellte mit schnellem Blick fest, dass es nur eine erhitzte Standardration war, aber serviert auf echten Tellern.
»Wo hast du denn die ganzen Sachen her?«, brachte sie schließlich heraus und schloss die Tür hinter sich.
»Die Lagerräume enthalten so einiges an Dingen, die bei der Evakuierung als Ballast angesehen worden sind«, erwiderte Nedashde und wies auf einen der Stühle am Esstisch. »Ich hätte noch mehr mitbringen können, aber ich bin mir nicht ganz sicher, was deinen Geschmack angeht und wollte es nicht übertreiben.«
Rahel nickte. »Das war sehr zuvorkommend. Du hast etwas Farbe in diesen Raum gebracht, und das ist mehr, als ich jemals getan hätte. Und wahrscheinlich wäre ich auch mit ein paar Kraftriegeln im Magen ins Bett gegangen.«
Nedashde lächelte erfreut und wies auf einen Stuhl.
»Das war mir klar. Du musst etwas essen. Es war eine anstrengende Zeit und wir alle brauchen dich.«
Nedashdes Äußerung klang sehr ernsthaft und aufrichtig. Rahel war nie jemand gewesen, die sich vor Verantwortung gedrückt hätte, im Gegenteil, sie hatte sie mit jeder neuen Beförderung mehr gesucht und erstrebt. Doch das war ihrer Position in der Hierarchie der Streitkräfte geschuldet und war niemals Gegenstand von Diskussionen gewesen. Hier aber hatte sie kein Kommando über eine militärische Einheit.
Mit den veränderten Rahmenbedingungen musste auch Rahel erst fertig
Weitere Kostenlose Bücher