Tentakelblut (German Edition)
Objektivität zu betrachten«, fügte Piotrowski in seiner gewohnt herzlichen Art hinzu. »Ich bin Auge und Ohr der legitimen Regierung dieses Planeten. Ihre Kirche und deren Aktivitäten sind nur geduldet.«
Geschwätz , dachte Roby. Die »legitime« Regierung verlor an Regierung wie auch an Legitimität, und das mit jedem Tag. Er ging von einer ganz anderen Ursache für Piotrowskis Erscheinen aus. Er hatte seine Vorgesetzten so lange genervt, bis sie ihn hierher geschickt hatten – und die einzige Absicht des Mannes bestand darin, einen Flug zum Fluchtschiff zu ergattern und seinen knochigen Hintern zu retten.
Womit, wie Roby einsah, er sich nur in Nuancen von ihm selbst unterschied.
Der Krieg, so schien es, machte sie im Ende tatsächlich alle gleich.
Er holte tief Luft und rang sich so etwas wie ein pflichtbewusstes Gesicht ab.
»Natürlich, wie Sie meinen«, waren die einzigen Worte, die ihm in den Sinn kamen.
Bella schaute beide Männer stirnrunzelnd an, dann legte sie ihre Hand auf Robys Unterarm und zog ihn weg. Roby schaute sich nicht um, als er mit ihr zusammen auf die Baracke zuging, von wo die Unterkünfte verteilt wurden, aber er vermeinte, Piotrowskis Blicke in seinem Rücken zu spüren.
Natürlich alles Einbildung.
Er verscheuchte den Gedanken. Es war nun Zeit, ein wenig nur, für sie beide. Er wollte diese Zeit genießen und die Voraussetzungen dazu waren gut: Bella schlief bei ihm. Er hatte einen eigenen Raum, keine acht Quadratmeter, aber mit einem Waschbecken und einem Bett, das breit genug für zwei war. So konnten sie die Formalitäten schnell erledigen. Als Bella bei ihrer Anmeldung ein kleines Stück grünen Karton überreicht bekam, auf dem eine Nummer stand, weckte dies Robys Aufmerksamkeit.
»Die Reihenfolge ist festgelegt«, erklärte sie ihm. »Jeder bekommt eine Nummer. Wird sie aufgerufen, bist du im nächsten Shuttle zum Fluchtschiff.«
»Ich habe keine Nummer.«
»Die wirst du bekommen.«
»Er wird sie nicht benötigen.«
Bella und Roby drehten sich um. Eine Rahel stand vor ihnen und schaute sie halb ernst, halb amüsiert an. Roby kannte dieses Exemplar. Sie hatte eine kleine Narbe an der Stirn, und das verlieh ihr ein stärkeres Maß an Individualität. Roby war eigentlich schon ganz gut darin, die Rahels auseinanderzuhalten, vor allem da sie sich mit zunehmender Lebensdauer auch durch erkennbare Nuancen voneinander zu unterscheiden begannen. Diese hier war ziemlich weit oben in der Hierarchie angesiedelt. Warum und was sie für eine Führungsposition qualifizierte, wusste Roby nicht. Sie lief aber herum und gab Anweisungen, die Leute gehorchten ihr, und daher hatte das sicher alles seine Richtigkeit.
»Warum nicht?«, fragte er sie, nicht herausfordernd, einfach nur neugierig. Ihre Aussage konnte man so oder so interpretieren. Er spürte eine wachsende Anspannung in sich, fühlte Bellas Hand in der seinen, einen beruhigenden, kurzen Druck.
»Sie gehen an Bord eines der beiden Begleitschiffe. Die sind gestern Nacht gelandet.«
»Begleitschiffe?«
»Die Eskorte für den Shuttle. Der Erdorbit ist ein wildes Durcheinander. Die Flotte kämpft immer noch gegen die Invasoren. Gut die Hälfte aller Landeversuche der Tentakel werden vereitelt. Es wird immer schwieriger, geeignete Start- und Landekorridore zu finden. Doch damit haben wir gerechnet. Die beiden Korvetten wurden in der Zwischenzeit ausgerüstet und wir haben geeignete Piloten gefunden. Jetzt suchen wir Waffenoffiziere.«
Sie sah Roby abschätzend an.
»Sie machen sich gut in der Hornet. Wollen Sie mal etwas Größeres versuchen? Eine Korvette? Ein kleines Schiff mit acht Mann Besatzung. Sie müssen Tentakel davon abhalten, sich dem Shuttle zu sehr zu nähern. Nicht ganz ungefährlich, aber … wenn Sie es überleben, haben Sie ein Ticket für das Fluchtschiff. Die beiden Korvetten werden als Beiboote mitgeführt. Was sagen Sie?«
»Meine Vorgesetzten …«
Die Rahel machte einen Schnalzlaut, der abschätziger klang, als er vermutlich gemeint war.
»Das klären wir. Die haben andere Sorgen.«
Agent Piotrowski würde diese Aussage nicht sehr schätzen. Roby ahnte, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen war.
Roby sah Bella an. In deren Augen stand Sorge. Aber sie wusste auch, dass diese Aufgabe sehr wichtig war – für ihr aller Überleben sogar von zentraler Bedeutung. Der Widerstreit in ihrem Inneren dauerte einige Augenblicke an. Sie lächelte sanft. Es war nicht die Absolution, nach der Roby
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