Tentakelblut (German Edition)
Zeitdruck.«
Smith zögerte.
»Die Leitstelle hat Nonstopflüge für uns angewiesen. Nur auftanken und gleich wieder los. Wir bekommen ein paar Päckchen mit geeigneten Pharmaka geliefert, die uns wach halten sollen, falls es zu hart wird. Aber unser Zeitplan wurde gerade geschrumpft. Keine Pausen mehr. Keine Ruhe. Schlafphasen im Sessel. Es geht offenbar aufs Ganze.«
Roby schüttelte ungläubig den Kopf. Wie lange würden sie das aushalten?
Und was würde am Ende von ihnen übrig bleiben, wenn sie diese Gewalttour überleben sollten?
Er fühlte, wie sich ein leichter Schweißfilm auf seiner Stirn bildete.
Roby hatte Angst.
Jemand lachte hysterisch in sein Mikrofon.
Das war gewissermaßen beruhigend. Roby war also nicht der Einzige. Und er konnte durch etwas nach außen projizierte Ruhe vielleicht einen Kontrapunkt setzen. Sein Magen tat ihm weh und er musste dringend pinkeln, klare Anzeichen seines eigenen Gemütszustandes. Er holte tief Luft. Sein Druckanzug hatte einen Beutel und er hatte nichts gegessen außer hygienischer Fertignahrung. Alles nicht so schlimm.
»Wir werden jetzt den schnellsten Anflug wählen«, informierte Smith sie weiterhin und tat damit das, was Roby sowohl erhofft wie auch befürchtet hatte. »Es wird ein wilder Ritt und wir werden einen längeren Atmosphärenflug machen als geplant, da wir an ungünstiger Stelle in die Lufthülle eintreten werden. Ich habe die Sphärenflotte informiert und die kommen uns sicher nicht in die Quere, aber das sagt ja nichts über das Verhalten unserer speziellen Freunde aus.«
Smith machte eine kurze Pause.
»Wir verteidigen uns, wo wir können. Alle Waffensysteme scharf machen. Feuer nach Belieben, aber wir wollen Raketen sparen und reagieren nur auf direkte Bedrohungen. Erwartet von mir keine kunstvollen Ausweichmanöver. Wir stehen jetzt unter Zeitdruck, und wir machen daher vor allem eines: uns beeilen. Die Tentakel haben noch kein Landemanöver gestartet. Mit etwas Glück werden wir sie in der Atmosphäre los sein.«
Roby sagte nichts, er hörte aber die Bestätigungsmeldungen der anderen Korvette und des Shuttles. Der Shuttle war gleichfalls mit einer Kanone bewaffnet, zudem mörderisch dick gepanzert und extrem robust. Der Pilot dort musste sich vorrangig auf eines konzentrieren: runterkommen, und zwar schnell.
»Roby, du hast es gehört?«, wandte sich Smith nun direkt an ihn.
»Alles klar. Ich halte die Augen offen.«
Seine Stimme klang nicht halb so zuversichtlich und gelassen, wie er es gerne gehabt hätte. Das sanfte Zittern war kaum zu überhören, doch Smith ging nicht weiter darauf ein. Er erwartete wahrscheinlich keine Wunder, obgleich Roby wirklich gerne welche liefern würde.
Dann tat er, was er angekündigt hatte. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Anzeigen vor ihm. Die Freund-Feind-Erkennung funktionierte einwandfrei, nicht zuletzt, weil die im Orbit operierenden Sphärenschiffe ihre Ortungsdaten mit ihnen teilten – aus Eigennutz, denn jede zusätzliche Abwehrrakete würde letztlich auch ihrer eigenen Operation dienen.
Und so stürzten sich die drei Schiffe auf die Erde.
Roby befürchtete erst, die Spannung würde sich ins Endlose dehnen. Doch Smith hatte sein Wort gehalten. Die drei Schiffe schossen mit feuernden Triebwerken auf die Erde zu, schnörkellos und mit halsbrecherischer Geschwindigkeit.
Es ging dann alles sehr schnell.
Roby hatte nicht geahnt, was alles in ihm steckte.
War es seine Fähigkeit, zu fokussieren und jede Angst auszublenden? Hatte er ein natürliches Talent für zielgerichtete Zerstörung? Er wollte darüber nicht spekulieren. Die Steuerelektronik half ihm. Er suchte Ziele aus, wartete, bis sie nahe genug herankamen, verschaffte sich einen Überblick. War ein Schiff der Flotte in der Nähe? Wer feuerte auf wen? Wie schnell waren sie und konnten sie davonrennen? Kombinationen, Winkelzüge, Abschätzungen, alles ratterte in seinem Kopf herunter, unterstützt von Berechnungen und Prognosen der Korvette selbst, die ihn mit Daten überhäufte.
Ein Tanz, ein wunderbarer Tanz.
Roby war wie in Trance. Hin und wieder zuckte seine rechte Hand unmerklich, dann wurde eine Waffe abgefeuert, im Regelfall eine Abwehrrakete, manchmal auch ein kurzer Feuerstoß der Gausskanonen, wenn ein gegnerischer Flugkörper zu nahe gekommen war. Es waren präzise Feuerstöße, überlegt ausgelöst und nie länger als unbedingt notwendig. Die Flotte war der Hauptfeind, sie stellte sich den Tentakeln bewusst
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