Tentakelblut (German Edition)
Stunden damit zubringen können, sich dieser Schau zu widmen. Es war auch wenig verwunderlich, dass das Stimmengewirr, das sie empfing, so ganz anders klang als das einer irdischen Menschenmenge. Die in sehr unterschiedlichen Frequenzbereichen hörbaren Laute mit allerlei Vocoderklängen erzeugten eine sehr eigentümliche Mischung, die in Slaps Ohren fremdartig klang und sich in denen eines weniger gelassenen Menschen nahezu furchterregend anhören musste. Er bemühte sich, diese Kakofonie auszublenden, als Mirinda ihn auf die Sitzplätze führte, die Gästen des Rates vorbehalten waren. Da es sich dabei je nach Thema ebenfalls um sehr unterschiedliche Spezies handeln konnte, bestanden die Sitzgelegenheiten aus einem flexiblen Gummimaterial, das sich nach einem kurzen Scan von Slaps Physiognomie lautlos und rasch in einen bequemen Sessel verwandelte. Als Slap prüfend Platz nahm, fühlte er sich sogleich aufgehoben und entspannt. Von hier hatte er einen guten Blick auf die mitten im Raum schwebende Gravitationsscheibe, die die Plattform für das Tagungspräsidium bot. Darauf hatten einige würdig aussehende Wesen Platz genommen, die Slap nicht kannte. Mirinda hatte ihm die Namen genannt, aber er hatte sie bereits wieder vergessen, als sie hinzufügte, dass das Präsidium im Regelfall streng neutral handele und ganz sicher nicht mehr tun würde, als für eine ordentliche und einigermaßen friedliche Sitzung zu sorgen.
Slap musste sich in Geduld fassen.
Obgleich mehrmals ein Gong ertönte, schien niemand es allzu eilig zu haben, seinen Platz einzunehmen. Selbst jene, die bereits saßen, erhoben sich immer wieder, um andere Ratsmitglieder zu begrüßen, die gerade den Saal betreten hatten, oder mit jemandem ein Gespräch zu beginnen, dessen Anwesenheit man gerade erst bemerkt hatte. Auch draußen in der Wandelhalle herrschte noch ein reges Treiben. Der Vorsitzende auf der Plattform, ein Intelligenzwesen mit einem Gesicht, das Slap entfernt an ein Walross erinnerte, schien gleichfalls über eine Engelsgeduld zu verfügen. Er betätigte den Gong mit schöner Regelmäßigkeit und forderte die Ratsmitglieder wiederholt zur Aufnahme der Geschäfte auf, ohne dabei auch nur andeutungsweise genervt oder erregt zu wirken. Als sich die großen Türen schließlich schlossen und eine gewisse Ruhe einkehrte – jedoch weit entfernt von einer wirklich erwartungsvollen Stille –, war eine halbe Stunde seit dem offiziellen Sitzungsbeginn vergangen. Slap hatte bereits begonnen, unruhig auf seinem Sessel hin und her zu rutschen, was diesen zu hektischen Anpassungsversuchen animierte, bis Mirinda die Automatik auf ein Mindestmaß herunterdrosselte. Slap wusste nicht, ob das politische Geschäft auf der Erde genauso langwierig war, aber er ahnte, dass es da gewisse Gesetzmäßigkeiten gab, mit denen er sich lieber nicht intensiver beschäftigen wollte. Das hier reichte ihm bereits.
Doch es war erst der Anfang.
Starr vor Entsetzen musste Slap eine weitere Stunde nervötender Präliminarien und Administrativa miterleben. Die einzige echte Abwechslung war die Aufforderung des Walrosses an seine Kollegen, sich bitte einmal zum Gedenken zweier verstorbener Ratsmitglieder zu erheben. Ansonsten war das mit einem einschläfernden Singsang vorgetragene bürokratische Einerlei kaum erträglich. Slap war nicht der Einzige mit dieser Sichtweise. Von der Gedenkminute einmal abgesehen, die mit einer gewissen respektvollen Disziplin eingehalten wurde, begannen die Ratsmitglieder während dieser Zeit wieder, umherzuwandern und durcheinanderzuquatschen. Slap sank irgendwann resigniert in seinem Sessel zusammen. Immerhin war die innere Anspannung weitgehend von ihm gewichen. Sie wurde durch eine sehr tiefe Empfindung der Langeweile ersetzt.
Beinahe wäre er eingenickt.
Mirinda stieß ihn sanft an und er öffnete die Augen.
Sie wies bedeutungsvoll in Richtung Plattform, in ihrem Blick ein Hauch der Missbilligung.
Tansh war aufgerufen worden, sein Anliegen vorzubringen, und nicht nur Slap empfand plötzlich wieder die alte Nervosität, in der ganzen Halle sank der Lärmpegel, als mehr und mehr Ratsmitglieder ihre Aufmerksamkeit auf das Podium richteten, wo der Abgeordnete sich nun auf die Position stellte, die Rednern vorbehalten war, und dabei versuchte, so würdevoll aufzutreten, wie es einem Mistkäfer nun einmal möglich war. Für den versammelten Rat war dies offenbar gut genug, denn als Tansh schließlich das Wort ergriff, hörte man ihm
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