Tentakelblut (German Edition)
Genmaterial, deren Anlagen uns so wertvoll erscheinen, dass wir sie für ein späteres Klonprogramm oder Fortpflanzung durch künstliche Befruchtung nutzen wollen. Ich denke, wir können über die erstere Gruppe schnell entscheiden. Allzu viele freie Plätze gibt es nicht. Was die zweite Gruppe angeht, so besteht hier ein kleines Problem …«
»Welches Problem?«, wollte Mirinda wissen.
Simmons warf ihr einen abschätzigen Blick zu, der sie fatal an die Art erinnerte, wie Actinotroch sie immer angesehen hatte. Sie versteifte ihren Rücken und bemühte sich um Selbstbeherrschung. Die Blockade ihrer Selbstkontrollmechanismen war mittlerweile aufgehoben wurden, die entsprechenden Medikamente des Tentakels hatten in ihrer Wirkung nachgelassen.
Alles kein Problem.
Sie hatte sich völlig im Griff.
»Es kann sein, dass viele Träger so wertvoller Genanlagen, die wir bisher nicht ausreichend dokumentiert haben, Einwände dagegen erheben werden, einfach nur gescannt zu werden, aber keine Chance bekommen, selbst zu fliehen – oder wenigstens ihre Kinder.«
Simmons verzog das Gesicht, als er letzteres Wort äußerte. Wahrscheinlich spielten sich vor seinem inneren Auge Szenen voller Gejammer und Flehen ab, mit denen er sich lieber nicht befassen wollte. Simmons war nicht verheiratet und hatte keine Kinder, die er offiziell anerkannt hätte. Und die anderen … waren offenbar niemand, denen er allzu viele Gedanken oder Gefühle zu widmen gedachte.
»Nun, ich sehe da kein großes Problem«, erklärte der Chef des Militärgeheimdienstes, Oliver Sikorsky, ein Klon des legendären ehemaligen Oberbefehlshabers, der sich über die Zukunft seiner DNA keine Sorgen machen musste. »Wir werden sie zwingen. Ein schneller Besuch, ein Abstrich, gerne auch in Gegenwart von bewaffneten Wachsoldaten, wer von diesen Leuten sollte sich da großartig wehren?«
»Diejenigen, die über eigene Machtmittel verfügen«, erwiderte Simmons. »Es handelt sich nicht durchweg um Subalterne, die wir leicht manipulieren können, sondern auch um hochgestellte Persönlichkeiten mit einigem Einfluss. Wenn wir zu harsch vorgehen …«
»Ja? Was dann?«, fragte Sikorsky laut und beugte sich vor. »Sie alle scheinen die Situation zu verkennen! Es geht hier nicht mehr um unsere politische Zukunft auf der Erde, es geht um bloßes Überleben! Sollen sie sich beschweren und Ärger bereiten! Wie lange wird das gehen? Sie werden irgendwann von den Tentakeln überrannt, während wir bereits das System verlassen haben. Wen kümmert es, ob sie vorher noch heiße Luft produzieren? Lasst sie doch. Es ist ein Sturm im Wasserglas, ohne Konsequenz.«
»So einfach ist das nicht«, protestierte Simmons.
»Doch, es ist sogar ganz einfach. Wir nehmen uns, was wir brauchen, und verschwinden. Sollen sie Zeter und Mordio schreien. Ihre Schreie werden sich bald in die Sterbender verwandeln. Uns hat das nicht mehr zu kümmern.«
Die offen zur Schau gestellte Menschenfeindlichkeit Sikorskys schien auch niemanden zu kümmern. Hier bestand wohl eine Art Konsens. Mirinda fühlte sich unwohl. Sobhex war nicht anzusehen, was er empfand, aber Mirinda wusste aus den Aufzeichnungen, dass moralische Erwägungen auch bei Evakuierungen der Vergangenheit nur eine nachrangige Rolle gespielt hatten. Es ging letztlich nur um eines: die Rettung eines ausreichenden Genpools, um eine Spezies überleben zu lassen. Wenn die erste Generation aus Arschlöchern und gestohlener DNA bestand, dann war das langfristig weitgehend unwichtig. Mirinda bemühte sich daher um eine philosophische Sichtweise auf diese Diskussion. Sie dachte an Roby und die Arche, den Bunker und daran, dass es zum Glück ein paar Leute gab, die nicht ganz so zynisch zu handeln bereit waren.
»Wir haben noch eine andere Sache zu berücksichtigen«, sagte Simmons. »Wie können wir uns gegen einen Mob schützen, der ebenfalls Zugang zur Evakuierung verlangt, wenn die Soldaten, die wir zu unserem Geleit einsetzen, nur dem sicheren Tod entgegensehen und selbst keine Chance haben? Unser eigenes Militär könnte sich gegen uns wenden.«
Sikorsky nickte. »Das ist mal ein ernsthafter Einwand. Aber auch dafür sind Vorbereitungen getroffen worden.«
Simmons sah Sikorsky säuerlich an. »Dürfen wir etwas über die Natur dieser Vorbereitungen erfahren?«
»Aber ja«, antwortete der Geheimdienstchef mit falschem Lächeln. »Zum einen werden wir vorwiegend Klonsoldaten zur Absicherung einsetzen. Ich kenne meine Brüder und
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