Tentakelblut (German Edition)

Schwestern. Sie werden sehr gehorsam sein. Und zum anderen werden wir alle anderen unmittelbar damit befassten Offiziere und Unteroffiziere anlügen. Wir gaukeln ihnen vor, dass sie ebenfalls ein Ticket bekommen. Und wenn wir verschwunden sind, werden sie merken, dass wir sie verarscht haben. Dann wird es aber zu spät sein.«
    Simmons nickte. Er hatte keinerlei moralische Bedenken, das war ihm anzusehen. Es ging ihm allein um Praktikabilität.
    »Und die Flotte? Die Besatzung der Raumschiffe, die uns zum Jupiter bringen und die uns dort beschützen, bis wir die Kapseln betreten können?«
    »Der Schutz wird derzeit vor allem von den Kapseln der Allianz gewährleistet«, erklärte nun Admiral Joskar, der die erdnahen Schiffe kommandierte. Er war ein hagerer, sehr stiller Mann, der sich an den zynischen Diskussionen ungern beteiligte, ohne deren Inhalt zu widersprechen. »Wir müssen nur gut hinkommen.«
    »Auch diese Leute werden wir anlügen. Ein Leichter Kreuzer steht bereit, eines unserer schnellsten Schiffe. Die Besatzung ist handverlesen. Wir werden sie bis zum Schluss im Unklaren über ihr wahres Schicksal lassen. Sobald wir ausgeschifft wurden, ist es zu spät und sie können nichts mehr tun. Wir werden keine Probleme haben, wenn wir sorgfältig kommunizieren. Es wird das Beste sein, wenn all dies unter uns bleibt und wir auch den anderen echten Flüchtlingen nichts weiter mitteilen. Dann können sie sich auch nicht verplappern.«
    Sikorsky sah sich um Zustimmung heischend um. Es schien, als habe der Geheimdienstchef an alles gedacht. Mirinda sagte weiterhin nichts. Kam einem der hier anwesenden Offiziere eigentlich der Gedanke, dass Sikorsky sie gerade auch belügen könnte? Dass auf seiner Liste der Überlebenden die Konkurrenten aus dem obersten Militärrat möglicherweise gleichfalls … überflüssig waren?
    Mirindas Blick wanderte herum. Es war niemandem anzusehen, ob …
    Direktor Vangaarden räusperte sich.
    »Es … ich gehe doch davon aus, dass ich und meine Familie …«
    Sikorsky lächelte kalt. »Natürlich, Herr Direktor. Sie müssen sich als unser Staatsoberhaupt nun wirklich keine Sorgen machen.«
    Eine peinlich berührte Stille senkte sich über die Runde. Dem Direktor war anzusehen, dass er sich ganz im Gegenteil sehr viele Sorgen machte und die schnelle Antwort Sikorskys ihm keine Beruhigung verschafft hatte.
    Mirinda fühlte es ihm nach.
    Sie holte langsam Luft und sah Sobhex an, der die Szene weiterhin schweigend beobachtete.
    Es war, wie sie fand, alles sehr widerlich hier.
        
     

21
     
    Der Käfig existierte so gar nicht, aber wie alles im Virtuum des Tentakeltraums war auch dies nur eine konstruierte Entsprechung, die dem Verständnis seiner Sinne entgegenkam. Slap konnte einigermaßen sicher sein, dass sein Begleiter das Gebilde ähnlich wahrnahm, denn Tentakel erfassten die dreidimensionale Welt auf vergleichbare Art wie Menschen und dementsprechend konstruierte das Virtuum die Realität für sie beide auf ähnliche Weise. Slap hatte einmal vorgeschlagen, die gigantischen Quantengeneratoren, die den Tentakeltraum produzierten, zu vernichten, um den Tentakeln diese Möglichkeit der Kommunikation zu nehmen. Aus verschiedenen Gründen, so hatte man ihm erklärt, sei diese Idee nicht praktikabel. Zum einen gebe es mittlerweile auf jeder größeren Tentakelwelt Back-up-Systeme, sodass nur der vollständige Zusammenbruch des Imperiums tatsächlich zu einem Ende des Virtuums führen würde. Zum anderen existiere die Theorie, dass der Tentakeltraum der Stabilisierung durch die Generatoren gar nicht mehr bedürfe, sondern aufgrund seiner langen Existenz und seiner stabilen Konstruktion auch ohne weiterexistieren werde. In jedem Falle war dies eine akademische Diskussion, denn die Allianz hatte weder die Machtmittel noch die Absicht zu einem solchen Schritt. Der Tentakeltraum war die einzige Front, an der ernsthaft gegen die Aliens gekämpft werden konnte, und ihn zu zerstören würde auch bedeuten, endgültig hilflos im Allianzsystem eingeschlossen zu bleiben.
    Sie erreichten den Käfig zusammen mit einigen anderen Tentakeln. Es gab hier keine Absperrungen, Wachen oder ähnliche Sicherheitsattribute, die in einer normalen, dreidimensionalen Umgebung möglicherweise für notwendig gehalten würden. Kein Tentakel war jemals zum Dissidenten und Revolutionär geworden – zumindest hatte man nie davon gehört. Der Käfig diente allein dazu, seinen Insassen unter Kontrolle zu halten, von