Tentakelwacht
seinen Fußknöchel gelegt worden war, war durchaus Ausdruck eines tief sitzenden Misstrauens. Aber Roby hatte derzeit keine Lust abzuhauen. Er wusste, dass er jetzt Dinge lernte, die seine eigene Überlebensfähigkeit erhöhen würden. Die drohende Rückkehr der Tentakel hatte ihm vor Augen geführt, dass es jetzt Dinge zu lernen gab, die ihm sehr nützlich sein würden, auch, wenn er sich irgendwann doch absetzte. Darüber hinaus fühlte er sich seinen Untergebenen gegenüber verpflichtet. Wenn er verschwand, würde ein zweiter Stettelson die Gruppe übernehmen? Das konnte und wollte Roby ihnen nicht antun. Er war sich nicht sicher, ob dieses neue Gefühl der Verantwortung ihm eines Tages wirklich große Probleme bereiten würde, aber sein Ansehen bei der Truppe war seit seiner Weigerung zu schießen ins Unendliche angestiegen. Und es war wohl auch diese neue, starke Loyalität, die die Ausbilder dazu veranlasste, ihn in Ruhe zu lassen, solange er seine Befehle ausführte. Roby vermutete, dass General Harris, der mit ihnen verlegt worden war, dies nur als weiteren Trick benutzte, die unwillige Bereitschaft des Delinquenten zu erhöhen, seine Karriere im Militär ernst zu nehmen. Roby ahnte, dass er manipuliert wurde. Da diese Manipulation aber dazu führte, dass er an diesem sonnigen Nachmittag durch das Kasernentor spazierte und durch die Stadt zu wandern begann, wollte er sich nicht beschweren. Und da er bisher nur wenig Gelegenheit gehabt hatte, seinen Sold auszugeben, war er auch keinesfalls mittellos. Es versprach, ein sehr angenehmer Nachmittag zu werden.
Er saß in der Sonne in einem Café und hatte seinen Sold in einen ordentlichen Kaffee investiert, der im Gegensatz zu dem erhitzten Konzentrat, das er in der Kaserne bekam, nicht so schmeckte, als sei er bereits mehrmals getrunken und wieder hervorgewürgt worden. Er zog kaum Blicke auf sich, und das ungeachtet der Tatsache, dass er eine Uniform trug. Seit Ausrufung des Ausnahmezustandes mit Einsetzen des Systemalarms wimmelte es überall von Uniformen. Alle Reservisten waren einberufen worden und die zahllosen Kampfgruppen von Betrieben und Behörden, paramilitärische Freizeiteinheiten, waren nunmehr offiziell in ihrem Status als Hilfstruppen in Dienst gestellt worden. Man sah auch plötzlich viele Waffen in der Öffentlichkeit. Obgleich die Regierung noch nicht mit der allgemeinen Zivilbewaffnung begonnen hatte, war allgemein bekannt, dass dermaßen viele alte Waffen aus der letzten Invasion noch im Umlauf waren, dass sich eine oder zwei in fast jeder Familie befanden. Vor allem die alten automatischen Schrotflinten, die damals produziert worden waren, galten in gut erhaltenem Zustand als wertvolle Familienerbstücke. Roby hatte auch mal so eine gehabt. Eine feine Waffe, die er gegen mehrere Flaschen Whisky eingetauscht hatte.
Eine Zivilistin trat auf ihn zu. Ihr Blick hing für eine Sekunde am silbernen Band um seinen Knöchel, das man bei genauem Hinsehen erkennen konnte, da Roby die Beine übereinandergeschlagen hatte und das Hosenbein etwas nach oben gerutscht war. Sie wusste offenbar, worum es sich dabei handelte. Roby war das herzlich egal. Er warf sich nichts vor, und wenn es andere taten, dann war das deren Problem, nicht seins. Außerdem sah die junge Frau trotz ihres Alters wenig attraktiv aus, etwas abgerissen, knochig, mit großen Augen in einem schmalen, unspektakulären Gesicht. Nichts in der Bluse. Roby stand auf große Brüste. Es war immer gut, ordentlich was zum Kneten zu haben.
Er begegnete dem Blick der Frau mit höflichem Interesse, aber mit mehr auch nicht.
Sie sagte nichts, sondern legte ihm wortlos einen Zettel auf den Tisch, drehte sich um und ging.
Roby runzelte die Stirn und hob das Papier. Sie hatte sich exakt ihn ausgesucht, obgleich viele andere auf dem Platz vor dem Café saßen. Es musste an der elektronischen Fußfessel gelegen haben. Wenn diese ihn besonders vertrauenswürdig erscheinen ließ, wollte er vielleicht gar nicht wissen, worum es hier ging.
Dann aber siegte natürlich die Neugierde. Und die Langeweile. Es war für ihn schwerer als erwartet, einfach mal nichts zu tun und sich keine Gedanken machen zu müssen.
Auf dem Zettel stand ein Datum – Sonntag in zwei Wochen. Eine Uhrzeit – 16 Uhr nachmittags. Eine Adresse – irgendwo in den Randbezirken der Stadt. So genau kannte sich Roby hier nicht aus.
Das war alles.
Roby drehte das Papier einige Male in seinen Händen, um noch irgendeinen Hinweis zu
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