Teppichporsche: Kriminalroman (German Edition)
fluchen, als das Handy klingelte. Ich raffte mich wieder auf und kramte das Handy aus meiner Hosentasche. »Ja?«
»Esther, bist du das?«, fragte mein Vater. »Hör mal, ich wollte ein bisschen Geld auftreiben. Meinst du, wir könnten mit dem alten Fernseher im Schlafzimmer irgendwas drehen?«
»Was meinst du?«
»Du bist doch haftpflichtversichert, oder?«
Meine Güte. »Paps, hast du vergessen, womit ich mein Geld verdiene?«
»Jetzt pass mal auf, ich lasse im Jahr 200 Euro nur allein für den Hausrat bei denen. Und außer den zwei geklauten Fahrrädern und der kaputten Brille hab ich die nie um Geld gebeten. Ich wohne seit 30 Jahren hier drin und so langsam können die mir mal was abgeben.«
»Das ist keine Bank, sondern eine Versicherung. Da bittet man nicht um Geld, sondern verlangt Entschädigung.«
»Ja eben. Entschädigung für drei Jahrzehnte Bruchbude! Hast du die Risse im Wohnzimmer gesehen? Und die Kacheln in der Küche musste ich unten schräg ansägen, damit sie gerade zur Küchenarbeitsplatte verlaufen. Du weißt ja, Küchen müssen in der Waage aufgebaut werden.«
Mit dem Handy kratzte ich mich am Ohr. Ich hörte ihn noch reden, aber der Schweiß juckte mir in der Ohrmuschel. Mein Telefon war schon ganz feucht.
»Paps. Paps!«, unterbrach ich ihn. »So oder so. Wir sind Familie. Da zahlt die Versicherung nicht.«
»Was? Was soll denn der Bockmist?«
»Ist halt so. Glaub mir. Wir reden am Sonntag drüber.«
Zuweilen wurden die Fahrräder meiner Eltern abwechselnd als gestohlen gemeldet. Und so sehr sich die Versicherung auch sträubte – sie musste einräumen, dass die Drahtesel in der Tat hin und wieder geklaut wurden. Das Fahrradschloss meiner Mutter war zwar größer als die Gleiskette eines Panzers, doch die Bedienung solcher Monstrositäten ging ihr total ab. Zum Schluss hatte sie den Laternenmast an den Fahrradkorb gefesselt und das Rad war binnen Minuten im Nichts verschwunden. Der Korb ist mittlerweile auch fort, doch das Schloss umarmt noch immer den Mast.
Ich pflügte das Handy wieder unter meinen Hintern, rutschte tief in meinen Fahrersitz und beschloss, zuerst dem Wasserschaden einen Besuch abzustatten.
Die Pfeiffers wohnten in Eppendorf, einer besseren Wohnlage im Süden von Wattenscheid. Unterwegs wechselten die Richtungsschilder sich ab und wiesen manchmal nach Bochum-Eppendorf, manchmal nach Wattenscheid-Eppendorf. Zuletzt las ich Bochum-Wattenscheid-Eppendorf. Die Dorfmitte war mit einem Durchmesser von 300 Metern eher klein und bestand auf den ersten Blick aus einem Supermarkt, einem Bäcker, einer Bank, einer Buchhandlung und einer Pizzeria. Im miefenden Schatten der Tankstelle gab es außerdem noch eine Eisdiele und eine Konditorei.
Das Pfeiffer-Haus befand sich in einer verkehrsberuhigten Nebenstraße, die nachts kaum ausgeleuchtet war. Einfamilienhäuser mit handtuchgroßen Vorgärten reihten sich nah aneinander und die Straße war offenbar erst kürzlich neu asphaltiert worden. Reinweiße Garagentore, die die Sonnenstrahlen reflektierten, machten schneeblind. Kein Hund würde es wagen, hier in einen Vorgarten zu kacken.
Ich parkte vor der Hausnummer 19, einem sandfarbenen Bungalow mit Dachziegeln aus Terrakotta. Der Rasen vor dem Haus war auf Militärfrisur gekürzt. Ein frei stehender Briefkasten mit Fähnchen stand abseits des mit Kies aufgeschütteten Weges. Ich klingelte und ein melodischer Schlager hallte durchs Haus. Eine Frau im lindgrünen Kleid öffnete die Tür. Ich schätzte sie auf Mitte 50 und war geblendet von ihrem Ausschnitt, der nicht nur eine, sondern mindestens 20 tiefe Furchen präsentierte. Ihre graublauen Augen schauten müßig aus den Höhlen und ihr spitzes Kinn beherrschte das Gesicht.
»Ulrike Pfeiffer?«, forschte ich in Richtung ihres Dekolletés.
»Ja.«
»Guten Tag. Ich komme im Auftrag der IHK Bochum. Wir machen derzeit Stichproben bei den ansässigen Sachverständigen und ich möchte den gemeldeten Schadenfall gegenprüfen.« Obwohl ich den Spruch mittlerweile aus dem Effeff kannte, schwoll mir jedes Mal die Zunge dabei an. Lügen war nicht meine Stärke.
Pfeiffer machte ein Paar hellblaue Stielaugen. »Wenn Sie meinen. Kommen Sie herein.«
Ich ging durch die Tür und ein Gewand aus kühler, zerbrechlicher Luft umhüllte mich. Der Flur war hoch und weiß. Eine große Palme warf einen spinnenbeinigen Schatten an die Wand. Am Ansatz der Holztreppe trieb mir bereits der Geruch feuchter Tapeten und altem Kleister entgegen.
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