Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
nicht, als er ihr die Schwimmweste anlegte, sondern bedachte ihn nur mit einem misstrauischen Blick.
    Prabir brachte sie ins Boot, dann stieg er selbst hinein und blickte über den Strand zurück. Er würde nicht sehr lange fort sein; wenn er diese Prüfung bestand, gab es für seine Eltern keinen Grund mehr, ihn fortzuschicken, und innerhalb weniger Tage würde alles wieder normal sein. Niemand würde ihn wegen einer vergifteten Puppe zur Rechenschaft ziehen; schließlich war es nur einer von vielen tausend Schmetterlingen auf der Insel. Man würde ihm alles verzeihen, wenn er bewies, dass er Madhusree in Sicherheit bringen konnte.
    Er startete den Motor. Das Boot erhob sich aus dem Wasser und entfernte sich vom Strand, wie ein amphibisches Geschöpf, das plötzlich aus der Kältestarre erwacht war. Obwohl er die Ruderpinne fest in der Hand hielt, hatte Prabir keineswegs das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, denn ihm war nie zuvor erlaubt worden, das Boot allein zu steuern. Nervös schob er das Ruder ein paar Grad nach links und nach rechts. Das Boot reagierte ohne Probleme; es ließ sich sogar etwas leichter lenken, als er erwartet hatte. Das war ermutigend, obwohl es die Situation gleichzeitig gefährlicher machte. Wenn er das Gleichgewicht verlor und das Boot zu einer scharfen Kurve zwang, könnte die Beschleunigung ihn von den Beinen reißen.
    Er musste stehen bleiben, um nach der Lücke im Riff Ausschau zu halten. Prabir war es gewohnt, die Lücke zu erkennen, wenn sie sie passierten, wenn die sichere Durchfahrt gewährleistet war. Die brechenden Wellen näherten sich mit beunruhigender Geschwindigkeit; er suchte nach einem Bereich, wo die Wellen dunkler waren, wo sie weniger schäumten. Er entdeckte eine Stelle, die günstig schien, aber er hatte keine klare Erinnerung an die Überfahrten, sodass er nicht wusste, ob er die richtige Wahl traf. Die Zeichen waren jedenfalls alles andere als überzeugend.
    Madhusree blickte verwirrt zu ihm auf und rieb sich die Augen. »Baba soll fahren!«, forderte sie vorwurfsvoll. Als Prabir sie ignorierte, begann sie zu weinen. Tränen strömten ihr übers Gesicht, aber Prabir blieb ungerührt; sie konnte sich über den winzigsten Anlass grämen und ein herzerweichendes Geheul anstimmen. Er selbst hatte es unzählige Male genauso gemacht. Daran konnte er sich noch sehr gut erinnern.
    »Nicht weinen, Maddy«, riet er ihr sanft. »Hier kannst du niemanden rumkriegen.« Sie verdoppelte ihre Bemühungen, bis sie sich in einen Schluckauf hineingesteigert hatte. Nun tat sie Prabir Leid, denn Schluckauf war etwas Schlimmes.
    Sie näherten sich dem Riff. Der Kanal, den er sich ausgesucht hatte, machte einen vielversprechenden Eindruck, mehr als zuvor, doch als er nun ein klares Ziel vor Augen hatte, zeigte sich, dass die Lenkung schwieriger war, als er gedacht hatte. Das Boot steuerte zu weit nach links. Er versuchte sich ihre Bewegung aus der Vogelperspektive vorzustellen und zeichnete in Gedanken die Kurve, die sie fahren mussten, um auf den richtigen Kurs zu gelangen.
    Er warf einen Blick auf sein Notepad, das auf dem Boden des Bootes lag. Er hatte nicht geglaubt, es könnte ihm irgendwie von Nutzen sein, bevor sie auf die offene See gelangt waren; die Software wusste nichts von diesem Riff, und im gegenwärtigen Maßstab hatte ihre Reise noch nicht einmal einen Pixel beansprucht. Aber nur die Karte war zu grob gerastert, nicht das Navigationssystem. Das kommerzielle GPS, das an die Stelle der US-Militärversion getreten war, arbeitete mit unverschlüsselten Signalen, die die Position des Empfängers auf den Zentimeter genau angaben.
    »Notepad«, schrie Prabir. »Ranzoomen! Mehr… mehr… stop!« Der Punkt wurde zu einer gezackten Linie vor einem leeren Hintergrund; jetzt waren alle Landflächen vom Bildschirm verschwunden, doch nun konnte er etwas mit dem eingezeichneten Kurs des Bootes anfangen. Er blickte zurück zum Strand und verglich dann ihre Position mit der noch verbleibenden Entfernung zum Riff. Jetzt ergab die Karte zu seinen Füßen Sinn; er konnte nun im Geist den Kanal einzeichnen.
    Er lehnte sich behutsam gegen das Ruder und beobachtete die Auswirkung – in der Realität und auf der Karte. Die Kurve war immer noch zu flach; er drückte das Ruder noch ein Stück weiter, beobachtete den sich bildenden Bogen und versuchte ihn zu extrapolieren.
    Das Boot schoss ohne den geringsten Stoß, ohne einen Kratzer durch das Riff. Prabir war von Freude und Glück

Weitere Kostenlose Bücher