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Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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hatte, real sein.
    Prabir stand auf und ließ Madhusree schlafen. Er musste sie mitnehmen, wenn er die Insel genauer erkundete. Viel mehr konnte er dann allerdings nicht tragen. Er würde sich mit einem Wasserkanister begnügen müssen.
    Er urinierte zitternd ins Meer. Die Steine unter seinen Füßen waren kalt. Er hatte vergessen, Schuhe mitzunehmen.
    Er ging eine Viertelstunde am Strand entlang, bis er auf eine Unterbrechung in der Steilwand stieß. Hier konnte man mit etwas Mühe über die Felsen nach oben gelangen. Er kletterte hinauf und hätte mehrere Male beinahe den Halt verloren. Madhusree bemerkte nichts von allem, während sie in seinen Armen weiterschlief.
    Oben auf den Klippen wuchs dickes, raues Gras, und ein Stück weiter begann dichter Dschungel, wie es schien. Nirgendwo war Feuer, Licht oder ein sonstiges Lebenszeichen. Das Mondlicht deutete darauf hin, dass sich außer ihnen beiden niemand zwischen dem Steilhang und dem Dschungel befand, doch dann hörte Prabir erneut die Stimme.
    Es war die Stimme eines Mannes, aber nicht die seines Vaters. Das Wort, das die Stimme rief, war: »Allah!«
    Prabir lief in die Richtung, aus der die Stimme kam. Er war sich der Gefahr bewusst, fühlte sich aber zu erschöpft, um genauer darüber nachzudenken. Seine Eltern hätten ihn am Strand in Empfang nehmen sollen. Er hatte alles getan, was er konnte, um Madhusree in Sicherheit zu bringen. Alles, was jetzt geschah, war allein Schuld seiner Eltern.
    Dann fand er den Mann, der auf dem Rücken im Gras lag. Es war ein indonesischer Soldat mit fast kahl geschorenem Schädel, in ordentlicher grüner Tarnuniform und Kampfstiefeln. Er sah aus wie neunzehn. Eine langläufige Waffe lag an seiner Seite.
    Prabir sagte in stockendem Indonesisch: »Wir sind Freunde, wir tun Ihnen nichts.«
    Der Mann drehte sich auf die Seite, mit Furcht in den Augen, und klammerte sich an seine Waffe. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Über dem Unterleib wies sein Hemd einen großen dunklen Fleck auf.
    »Ich hole Hilfe«, sprach Prabir weiter. »Sagen Sie mir, wohin ich gehen soll.«
    Der Mann starrte ihn misstrauisch an. Schließlich erwiderte er: »Ich weiß nicht, wo sie sind. Ich weiß nicht, wohin ich dich schicken soll.«
    Prabir ging in die Hocke und bot ihm den Wasserkanister an. Der Mann zögerte, dann nahm er ihn an und trank daraus. Als er ihn zurückgeben wollte, sagte Prabir: »Behalten Sie ihn.« Er hatte immer noch zehn Liter im Kanister, den er am Strand zurückgelassen hatte.
    Es war schwierig zu entscheiden, wie er mit dem Soldaten reden sollte, ohne ihn zu erzürnen. Trotzdem schlug Prabir behutsam vor: »Vielleicht helfen die Inselbewohner Ihnen.«
    Der Mann schüttelte den Kopf, schnitt eine Grimasse und schloss vor Schmerz die Augen.
    Madhusree wachte gähnend und irritiert auf. Sie registrierte die neue Umgebung, dann blickte sie Prabir mit tiefer Enttäuschung an. »Ich will zu Ma!«
    Der Mann öffnete die Augen und lächelte sie an. Er richtete sich ein Stück auf und streckte ihr die Arme entgegen. Madhusree schüttelte den Kopf; sie war nicht ängstlich, aber auch nicht bereit, sich auf diesen Fremden einzulassen. Er zuckte verständnisvoll die Achseln, dann verzerrte sich plötzlich sein Gesicht, und er schrie wieder auf. »Allah!« Tränen drangen durch seine Lider und liefen über die Wangen herab.
    Prabir merkte, dass seine Beine weich wie Gummi wurden. Er setzte sich ins Gras und drückte Madhusree an seine Brust. Ihm fielen so viele Dinge ein, die er vergessen hatte, von der Insel mitzubringen: Verbandszeug, Schmerzmittel, Antibiotika.
    Madhusree döste wieder ein. Der Mann verstummte; er schien das Bewusstsein verloren zu haben, obwohl er immer noch sehr geräuschvoll atmete. Prabir fragte sich, ob er wirklich an Allah glaubte – einen Allah, der seine Kameraden zu ihm führen würde, damit sie ihm helfen konnten, oder der ihn zumindest im Paradies willkommen heißen würde – oder ob er das Wort nur aus Gewohnheit schrie, wie einen Fluch. Als Prabir seinen Vater gefragt hatte, warum so viele Menschen an Götter glaubten, hatte sein Vater gesagt: »In schweren Zeiten möchten alle Menschen gerne daran glauben, dass es jemanden gibt, der auf sie Acht gibt. Jemand, der ihnen hilft oder einfach nur ihre Taten beurteilt und anerkennt, dass sie ihr Bestes gegeben haben. Aber so ist es nicht in dieser Welt.«
    Prabir legte Madhusree ins Gras. Sie strampelte unruhig, wachte aber nicht auf. Er ging zum Soldaten

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