Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
nicht anzustarren, auch wenn sein Licht schon bald Prabirs Augen tränen ließ. Das Meer rings um das Boot wurde nun auf vierzig oder fünfzig Meter sichtbar, aber es wirkte genauso unwirklich wie der Dschungel, wenn man ihn vom Rand der Helligkeit des Kampungs aus betrachtete.
    Prabir hielt das Notepad ins Mondlicht. Laut Karte waren sie weniger als zehn Kilometer von ihrem Ziel entfernt. Statt direkten Kurs auf die nördlichste der Inseln zu halten, hatte er beschlossen, einige Grad nach Westen zu steuern. Wenn sich die Karte als absolut zuverlässig erwies, würde er trotzdem das Land erkennen und könnte dann darauf zuhalten. Aber er konnte nicht davon ausgehen, dass die Karte in allen Einzelheiten stimmte, sodass er lieber das Risiko einging, ihr Ziel zu verfehlen, wenn sie zu weit nach Westen abdrifteten. Nach weiteren fünfzig Kilometern würden sie trotzdem auf Yamdena, die Hauptinsel der Gruppe, stoßen. Wenn sie zu weit nach Osten abwichen, würden sie schließlich in die Arafura-See geraten, die nach sechshundert Kilometern an der Nordküste von Australien endete. Irgendwann würde er einen solchen Irrtum bemerken, aber er hatte nicht genügend Treibstoff, um sich größere Umwege leisten zu können.
    Als schließlich eine Steilküste in Sicht kam, glaubte Prabir zunächst, er würde halluzinieren, dass er sich den Anblick einfach nur herbeigewünscht hatte. Aber das Land war real; ihre Reise war fast zu Ende. Er konsultierte das Notepad: Demnach befanden sie sich in nordwestlicher Richtung vor der Insel… aber die Küste lag rechts von ihnen. Wenn er sich auf die Software verlassen hätte, wären sie an den Inseln vorbeigefahren.
    Während sie näher kamen, sah Prabir, dass die Klippen nicht genau ans Wasser grenzten. Davor lag ein schmaler, steiniger Strand. Er hatte keine Ahnung, ob diese Insel bewohnt war, aber er war trotzdem zuversichtlich, dass seine Eltern hier auf ihn warteten. Es war die nächstgelegene Insel und damit die offensichtlichste Wahl. Er überlegte, ob er um die Insel herumfahren sollte, um nach dem Boot Ausschau zu halten, mit dem sie das Meer überquert hatten, aber er traute sich nicht zu, es in der Dunkelheit zu entdecken. Wenn er irgendeinen Grund zu der Annahme gehabt hätte, dass es hier einen Hafen oder eine Mole gab, hätte er danach gesucht, aber er war nicht bereit, es nur wegen einer vagen Möglichkeit auszuprobieren.
    Also hielt er direkt auf den Strand zu.
    Schließlich gab es unter ihm ein knirschendes Geräusch, und das Boot wurde plötzlich abgebremst. Madhusree rollte von der Bank, auf der sie geschlafen hatte, in die Lücke zwischen der Bank und dem Bug. Prabir schnappte sich die Tasche mit den Lebensmitteln, die neben ihm stand, steckte sein Notepad hinein, zog den Reißverschluss zu und hängte sich den Tragriemen um den Hals. Dann sprang er nach vorn und griff nach Madhusree. Sie war noch gar nicht richtig aufgewacht und wimmerte verwirrt. Er hob sie hoch, nahm sie in die Arme und sprang ins Wasser.
    Seine Füße berührten felsigen Boden. Das Wasser reichte ihm bis zur Hüfte.
    Prabir begann zu weinen und zitterte nach der langen Untätigkeit vor Erleichterung. Madhusree schaute ihn unsicher an, als müsste sie entscheiden, ob sie mitleidig reagieren oder mit seinen Tränen konkurrieren sollte.
    »Ich hab mir den Kopf gestoßen«, sagte sie vorsichtig.
    Prabir wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Wirklich? Das tut mir Leid, mein Schatz.«
    Er watete ans Ufer und stellte sie ab, dann kehrte er noch zweimal zurück, um die übrigen beiden Taschen und den ungeöffneten Wasserkanister zu holen. Das Boot war verbeult, aber der Boden war trocken. Der Rumpf aus Kohlenstofffasern war offenbar widerstandsfähiger, als er gedacht hatte.
    Dann legte er sich auf den steinigen Strand und benutzte die Tasche mit der Kleidung als Kopfkissen, während er Madhusree in den Armen hielt. Beide trugen immer noch die Schwimmwesten, und als er die Augen schloss, reduzierte sich das Universum auf den Geruch und das Quietschen von Plastik.
    *
    Prabir wachte auf, als irgendwer weit entfernt ein einzelnes Wort rief. Er lauschte eine Weile, aber mehr kam nicht. Vielleicht hatte er es nur geträumt.
    Es war immer noch dunkel. Er schob Madhusree vorsichtig zur Seite und blickte auf seine Uhr. Es war kurz nach vier.
    Er hatte geträumt, dass sein Vater oben auf den Klippen stand und seinen Namen rief. Wenn das Bild nur ein Traum gewesen war, konnte zumindest das, was er gehört

Weitere Kostenlose Bücher