Terminal 3 - Folge 1: Sterben hat seine Zeit. Thriller (German Edition)
Schönes«, sagt er.
»AVM«, sagt eine weibliche Stimme aus dem Funkgerät.
»Du bist dir sicher?«
»Klamotten, Rasierapparat, ein Paar Lederschuhe, eine elektrische Heizdecke.«
»Danke, Marisa, du hast mir den Abend gerettet.«
»Immer wieder gerne«, sagt Marisa.
»Ich geb nachher einen aus.«
»Tut mir leid, Leo. Bin schon verabredet.«
»Bist du doch immer.«
Mister Fanlay lächelt und steckt das Walkie-Talkie zurück in seine Tasche. Dann taucht er unter dem Absperrband hindurch.
»Was ist ein AVM?«, frage ich.
Mrs Williams mustert mich durch dicke Brillengläser. »Alter vergesslicher Mann.« Sie spuckt jedes Wort einzeln aus. »Genauso wie ich es gesagt habe.«
Ich nicke, »Ach so.«
»Aber auf mich hört ja keiner.« Mrs Williams wendet sich wieder ab. »Die ganze Aufregung für nichts und wieder nichts«, murmelt sie. »Schauen Sie sich das Chaos an! So viel Aufregung wegen eines Koffers.« Sie schüttelt den Kopf.
Die Frau in dem Schutzanzug verschwindet, der Koffer wird fortgebracht, Mrs Williams verabschiedet sich mit einem Kopfnicken. Das Absperrband wird aufgerollt.
Fünf Minuten später stehe ich wieder unter den Monitoren und suche nach neuen Zielen. Fresno, denke ich. Abflug drei Uhr sieben. Fresno ist nicht weit, keine Stunde Flugzeit. Ich gehe zum Schalter und kaufe ein Ticket.
Beim Sicherheitscheck denke ich plötzlich an Susan und an Sacramento. Ich ziehe meine Schuhe wieder an, doch die Gedanken bleiben. Sie verfolgen mich, Susan verfolgt mich, bis in die Maschine, bis auf meinen Platz. Ich schließe die Augen.
Auf diesem Hinflug finde ich keinen Schlaf. Es werden sehr lange sechsundfünfzig Minuten.
Allison Turner
Die Worte werden weniger. Michael legt seine Hand auf meinen Arm. Ich bewege mich nicht, greife nicht nach meinem Glas, um sie abzustreifen. Ich sitze einfach nur da und rede und irgendwann, als alles gesagt wurde, als alles aus mir herausgeflossen ist, verstumme ich. Genauso abrupt, wie ich begonnen habe.
Das Schweigen kehrt zurück, und dieses Mal ist es anders. Es steht nicht mehr zwischen uns. Es umgibt uns.
Wir trinken. Ich fühle mich frei und leicht. Gefühle, die ich beinah vergessen hatte.
Irgendwann beginnt Michael zu erzählen. Von seiner Kindheit, seinem Vater. »Er ist vor sechs Jahren gestorben«, sagt er. »Lungenkrebs.
Hat zwei Schachteln Pall Mall pro Tag geraucht. Seit er sechzehn war.« Michael trinkt. Seine Augen sind glasig. Es ist bereits sein zweiter Bookbinder. »Mein Vater und ich, wir … Wir haben uns nie besonders gut verstanden. Ich kann gar nicht genau sagen, woran es lag, vielleicht waren wir einfach zu verschieden. Als sie dann den Krebs feststellten, und er ins Krankenhaus musste, da wollte er nicht, dass ich ihn besuche. Und wenn ich ganz ehrlich bin, ich wollte es eigentlich auch nicht. Ich glaube, ich hatte einfach Angst davor. Angst davor, ihn so zu sehen. Also schob ich den Besuch vor mir her, irgendwas kam immer dazwischen. Zwei Wochen später klingelte dann nachts das Telefon, irgendwann um halb zwölf. Es war jemand vom Krankenhaus. Der Zustand meines Vaters habe sich rapide verschlechtert. Sie sagten, wenn ich … Wenn ich ihn noch einmal sehen wolle, müsse ich jetzt kommen. Ich habe gleich die erste Maschine genommen. Aber es war zu spät. Er ist noch in derselben Nacht gestorben.«
Michael verstummt.
»Das tut mir leid«, sage ich, und er nickt.
Ich würde so gerne noch mehr sagen, etwas Richtiges sagen, doch ich weiß nicht, was, und habe Angst, etwas Falsches zu sagen, also schaue ich ihn nur an und warte.
»Aber eigentlich wollte ich etwas ganz anderes erzählen«, sagt er schließlich und versucht ein Lächeln. »In der Zeit danach habe ich mir große Vorwürfe gemacht.
Weil ich zu spät gekommen war, weil ich nie mit ihm geredet habe, ich meine, wirklich geredet. Es gab noch so vieles, was ich ihm sagen wollte. Aber wissen Sie, was ich glaube? Er wusste es. Genauso wie ich es wusste. Zeit meines Lebens wusste ich, dass mein Vater mich liebt, ganz tief in seinem Herzen, auch wenn er das nicht unbedingt immer gezeigt hat. Und genauso wusste er, was ich für ihn empfinde. Verstehen Sie?« Er trinkt, schaut mich an. »Vielleicht war das bei Ihrem Vater ja auch so.«
Ich nicke. Und obwohl ich weiß, dass es morgen anders sein wird, in diesem Augenblick glaube ich daran. Ich will daran glauben, vielleicht muss ich es sogar. Ich halte mich an dem Gedanken fest, klammere mich an ihn, und er gibt mir
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