Terminal 3 - Folge 5: Die Methode Bronsky. Thriller (German Edition)
Musik gar nicht wahrzunehmen. Aber Sam Bronskys Leuten entgeht so etwas nicht. Ich bin auf halber Höhe der Treppe, als ein Muskelpaket im violetten T-Shirt mit der Aufschrift Manila an mir vorbeistürmt. Er nimmt den Trunkenbold in den Schwitzkasten und bugsiert ihn in Richtung Ausgang. Einige der Gäste johlen.
Vor der Tür zu Doc Meyers Bürotrakt hält ein weiterer Mann im T-Shirt Wache. Er scheint über mein Kommen informiert zu sein und lässt mich wortlos passieren.
Der Doc sitzt hinter seinem mit Rechnungen und Akten überladenen Schreibtisch. Er war einst ein Mann von enormer Leibesfülle gewesen, doch ein permanentes Magenleiden ließ ihn schrumpfen wie einen Ballon. Seine schlaffen Gesichtszüge wirken immer kummervoll. So, als müsse er sich in jeder Sekunde seines Daseins Sorgen machen. Vermutlich ist es auch genau so. Für Sam Bronsky zu arbeiten bedeutet, über ein erhebliches Einkommen zu verfügen und gleichzeitig permanent am Abgrund zu stehen. Ein Abgrund, in den man jederzeit vom Boss hineingestoßen werden kann. Aber der Doc hält sich gut in seiner Position. Bronsky vertraut ihm schon seit über fünfzehn Jahren seine Finanzen an.
»Sharon«, sagt er halblaut und schaut mich kurz über seine Lesebrille an. Zwei Monitore – alt, keine modernen Flachbildschirme – hängen an der Wand. Der linke zeigt den Flur vor der Bürotür, auf dem rechten erkennt man das Gedränge an Bar und Bühne aus der Vogelperspektive. Der Doc hat stets alles unter Kontrolle.
»Ruhiger Abend«, kommentiert er meinen Blick zu den Monitoren.
Ich frage nicht nach Sam Bronsky. Jede Sekunde, die man nicht mit ihm verbringt, ist eine Erleichterung. Bronsky wird schon noch auftauchen. Er hat es nicht nötig, pünktlich zu sein.
Doc deutet auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Ich setze mich und nehme sofort wieder die Hände von den Lehnen. Sie fühlen sich klebrig an.
Auf dem Schreibtisch steht eine ganze Fotogalerie: Docs Frau, rundlich und freundlich lächelnd, sein Sohn mit Gattin und drei Porträts der Enkel. Sie machen ihn gefügig und erpressbar. Selbst der Finanzverwalter unterliegt der Methode Bronsky.
Im Hinterzimmer zerschellt Glas, dann brüllt eine Stimme: »Ist sie da?«
Doc seufzt und deutet mit einem Kopfnicken zu der Hintertür. Sie führt in eine kleine Wohnung, die gelegentlich von Doc Meyer genutzt wird, wenn es mal wieder sehr spät geworden ist.
Ich stehe auf und bewege mich langsam zur Hintertür. Doc weiß genau, wie ich mich fühle. Er hebt die rechte Faust und spreizt drei Finger ab. Das ist ein geheimer Hinweis auf Bronskys Gemütszustand. Ein Finger wäre gut, bei fünf Fingern würde ich die kommende Viertelstunde nur mit Mühe überleben. Drei Finger sind aber mehr als genug, um meinen Verstand flattern zu lassen.
Bronsky ist gar nicht gut gelaunt, und ich kann es sofort spüren, als ich das Zimmer hinter dem Büro betrete. Es herrscht eine nahezu greifbare Atmosphäre aus Wut und Nervosität. Die Wut strahlt ein im Ledersessel thronender Bronsky aus. Sein rechtes Knie wippt fortwährend, die linke Hand hält einen fast leeren Cognacschwenker.
Nervös ist Dukakis. Er lehnt an der Wand und sieht aus wie ein geschlagener Hund. Dukakis muss irgendetwas getan haben, das Bronskys Missfallen erregt hat. Als er mich entdeckt, entspannt er sich ein wenig. Erleichtert, dass die Konzentration seines Bosses nun auf mich gelenkt werden wird. Aber Dukakis ist noch weit entfernt von dem herablassenden und zugleich anzüglichen Verhalten, das er mir ansonsten zuteilkommen lässt.
»Was ist geschehen?«, fragt Sam Bronsky und wippt weiter mit dem Knie.
»Der Kunde soll heimlich minderjährige Mädchen im Terminal fotografiert haben. Das ist einem Mann von der Flughafensicherheit aufgefallen. Er hat Lucky Boy zur Rede gestellt, und dabei ist es zu einer Auseinandersetzung gekommen.«
»War es dieser Fanlay?«
Dukakis muss ihm von dem Mann erzählt haben. Ich nicke nur.
Auf dem kleinen Tisch neben Bronskys Sessel liegt ein Foto.
»Ist er das?«
Ich muss näher kommen, um das Foto betrachten zu können. Auf gar keinen Fall darf ich den Versuch machen, möglichst viel Distanz zwischen mir und Bronsky zu wahren. Ich gehe also ohne Zögern direkt auf ihn zu und befinde mich nun in Reichweite seiner manikürten Finger.
Auf dem Foto lächelt mich Lennard Fanlay an. Die Aufnahme muss schon ein paar Jahre alt sein. Das Gesicht des Mannes wirkt ein klein wenig schmaler, und die Fältchen um seine Augen
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