Terra Anchronos (German Edition)
der werden wir nicht viel erfahren können, hörte ich eine andere Stimme sagen. Dann drängte sich ein gelehrt aussehender Mann zu mir vor und sagte: Zumindest wird sie uns aber doch wohl das Datum sagen können.“
„Das Datum wollten sie von dir wissen? Wozu denn das?“
Martha gebot Arne mit einer unwirschen Handbewegung, zu schweigen.
„Plötzlich trat atemlose Stille ein. Meine Antwort auf die gestellte Frage schien alle brennend zu interessieren. Ich habe wohl zu leise gesprochen, denn dieser Mann, der sich vor mich gekniet hatte, erhob sich mit einem triumphierenden Lachen und wiederholte meine Worte: Habt ihr das gehört? Ich habe es gewusst. Heute ist der 29. Februar. Dann hat er mich bei den Schultern gepackt. Welches Jahr? Ist heute der 29. Februar 1824? Ich konnte nur nicken. Dann hat dieser merkwürdige Mann mich auf seine Schultern gehoben und geschrieen: Sag es ganz laut, Kind.
Sag es allen! So kam es, dass meine ersten Worte, die ich an die Subtektonen richtete, das Datum des damaligen Tages war.“
„Subtektonen? Was soll das denn sein?“ Arne erhob sich und ging zu einem verstaubten Regal, aus dem er ein altes Lexikon zog. Es war ein riesiger Foliant, den er nur mit Mühe tragen konnte. Fieberhaft fuhren seine Finger über die einzelnen Worte. Er war derart in seine Suche vertieft, dass er Marthas Worte zunächst überhaupt nicht hörte. Erst als sie sich in sein Blickfeld stellte, schaute er auf.
„Du wirst den Begriff nicht finden“, wiederholte sie ihre Worte.
Martha musste lachen, als sie Arnes verwirrten Gesichtsausdruck sah. Dann hob sie mit spitzen Fingern ein wenig den Rock ihres Kleides und drehte sich auf der Stelle ein Mal um sich selbst. Dann vollführte sie einen grazilen Knicks.
„Ich bin ein Subtektone.“
Zum ersten Mal, seit Arne dieses Mädchen kannte, sah er sie von Herzen lachen. Sie strahlte über das ganze Gesicht und schob einige verirrte Locken wieder über die Schulter. Arne bemerkte, dass er diese kleine Bewegung sehr gerne mochte.
„Du bist doch ein Mensch. Ich habe noch nie gehört, dass jemand Subtektone genannt wird. Dein Name ist Martha Achterdiek.“
Sofort wurde Martha wieder sehr ernst. „Nur weil man zum Subtektonen wird, gibt man nicht seinen Namen ab.“
„Jetzt sag mir doch endlich, was ein Subtektone ist.“ Arne schlug ungeduldig das Lexikon zu und wartete auf Marthas Antwort.
„Das ist leicht zu erklären.“ Martha schlug den Folianten wieder auf. „Schau nach bei Sub.“
„Das brauche ich nicht.“ Arne verschränkte leicht beleidigt die Arme vor der Brust. „Spiel dich nicht als meine Lehrerin auf. Sag es mir einfach.“
Martha seufzte.
„Subtektonen leben unter den tektonischen Platten der Erde.“
„Klarer Fall“, antwortete Arne mit einem siegessicheren Grinsen. „Die tektonischen Platten schwimmen auf dem glühenden Magma. Da lebt also der Subtektone und verbrennt sich den Hintern.“
Arne ging wieder zu seinem Thron und machte es sich bequem. „Du brauchst mir so einen Unfug nicht zu erzählen, Martha. Das kann kein Mensch glauben.“
Ein Weile herrschte bedrücktes Schweigen. Dann hörte Arne Marthas leises Weinen. Er ging zu ihr, doch seinen Versuch einer versöhnlichen Umarmung wehrte sie ab.
„Wenn du nur glaubst, was du selbst gesehen hast, ist es sowieso zwecklos, noch mehr zu erzählen. Es gibt viel mehr Dinge, als wir uns vorstellen können.“
So ähnliche Worte hatte Arne bereits von seiner Mutter gehört und es tat ihm augenblicklich leid, dass er Martha verhöhnt hatte.
„Erzähl bitte weiter“, flüsterte er der weinenden Martha ins Ohr.
„So ganz stimmt es ja tatsächlich nicht.“ Martha wischte sich mit einem Zipfel des Rocks die Tränen aus dem Gesicht. „Subtektonen leben einige Meter tief in den tektonischen Platten. Dort sind große Höhlen und viele Gänge. Ein riesiges Labyrinth von Wegen.
Endlose Felder, auf denen Seegraswurzeln geerntet, und Faulkammern, in denen die Wurzeln vergoren werden.“
Arne enthielt sich jeden Kommentars, auch wenn es ihm sichtlich schwerfiel. Martha sah seine ungläubig staunenden Augen und bemerkte auch die heruntergefallene Kinnlade, fuhr aber unbeirrt fort.
„Auf einer solchen Faulkammer bin ich gestrandet.
Sie hatte sich unter dem Auftrieb der Faulgase gehoben und die Oberfläche des Meeres durchbrochen. Einige Subtektonen nutzen diese eine Stunde regelmäßig, um ihre Studien des Himmels zu betreiben.“
„Waren das die Menschen, die du
Weitere Kostenlose Bücher