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Terra Anchronos (German Edition)

Terra Anchronos (German Edition)

Titel: Terra Anchronos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andree Leu
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Eisbären. Die langen gelben Zähne des Tierschädels umrahmten die Stirn des Mannes.
    Das weiße Fell des Eisbären fiel über den Rücken des Alten und die Tatzen des Tieres schliffen beim Gehen über den Boden.“
    Martha lächelte. „Wenn ich damals schon gewusst hätte, dass ich nicht sterben kann ...“
    „Du wusstest aber von nichts. Schließlich warst du eben erst angekommen.“
    Martha nickte bestätigend. „Sie nennen ihn den Schamanen. Er war ein Medizinmann der Innuit. Mit erhobenen Armen kam er auf mich zu. Die Vordertatzen des Eisbären trug er wie Handschuhe. Der Mann sah aus wie ein gefährliches Raubtier und genauso klangen auch die Laute, die er ausstieß. Tief aus seinem Brustkorb, wie das Grol en eines weit entfernten Donners. Mit einer Kette, die ganz aus Knochen gefertigt war, kam er rasselnd immer näher und blieb kurz vor mir stehen.“
    Arne ging zu Martha, die sich inzwischen auf das Lager aus Heu gesetzt hatte, und kniete sich zu ihr. Er schrak zurück, als Martha urplötzlich den Kopf nach vorne warf und die Augen zur Decke drehte. Wenige Zentimeter trennten die Gesichter der Kinder. Arne sah nur noch das Weiße in Marthas Augen. Beunruhigt fasste Arne nach ihren Händen. Doch sie schüttelte ihn unwillig ab.
    „Dann hat er aus einer Tasche ein gesprenkeltes Ei gezogen, groß wie ein Hühnerei, und den Kopf in den Nacken geworfen. Der Schamane zerquetschte das Ei über seinem Gesicht. Eiweiß und Dotter liefen in seinen Mund, rannen über das Kinn. Gierig schluckte er alles hinunter.“
    Arne schüttelte sich. Rohe Eier waren doch allerhöchstens genießbar, wenn die Mutter sie in den Kuchenteig schlug.
    „Schaum, Arne. Plötzlich quol dem Schamanen Schaum aus dem Mund und er begann zu zittern. Erst waren es nur kleine Zuckungen. Doch die wurden immer stärker. Er wurde so geschüttelt, dass er zu Boden fiel, sich krümmte und wälzte. Dabei hat er geschrieen, wie ich es noch niemals zuvor gehört habe.“
    Martha hielt plötzlich inne. „Weißt du, was mir am meisten Angst bereitet hat?“
    Arne sah das Mädchen fragend an. Martha flüsterte nur noch.
    „Es gab kein Echo. Der Raum, diese riesige Halle, hätte die Schreie tausendfach zurückwerfen müssen.
    So wie in einer Kirche. Verstehst du?“
    Arne verstand nicht. „Hat sie denn nicht?“, flüsterte er fast noch leiser, als Martha es getan hatte.
    Die schüttelte nur den Kopf. „Kein Echo, Arne.
    Das war noch schlimmer als die Krämpfe des Schamanen.“
    „Wie kann denn das sein? Wo bleibt der Schall?“
    „Wo keine Zeit ist, gibt es auch kein Echo.“
    „Unvorstellbar“, murmelte Arne. Er sah, dass Martha ihm in dieser Hinsicht zum ersten Mal recht gab.
    „Wenn wir etwas nicht kennen, dann macht es uns Angst. Noch größer wird aber die Angst, wenn wir etwas erwarten und es tritt einfach nicht ein. Das ist gespenstisch, Arne.“
    Martha erhob sich und sah auf Arne hinab. Mit einer schnellen Bewegung nahm sie drei kleine Holzfiguren aus dem Regal und schleuderte sie vor Arne auf den Boden.
    „Knochen“, zischte sie. „Der Schamane hat sie mir direkt vor die Füße geworfen. Ja, ich bin fast genauso zurückgeschreckt wie du jetzt. Und dann hat er gesprochen. Worte, die ich nie wieder vergessen werde.“
    Was hat er gesagt?“ Arne war erregt aufgesprungen und sah wieder, wie Martha die Augen verdrehte, bis die Pupillen nicht mehr zu sehen waren.
    „Wage es nie, die Terra anchronos zu verlassen.
    Hüte dich, einen Weg in die alte Welt zu finden. Wenn du erlebst, dass der Mensch Zeit stiehlt, die ihm nicht gehört, ist dein Leben verwirkt.“

Das alte Grabmal
    Martha versuchte es noch einmal. Sie gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben, auch wenn es ihr nicht mehr leicht fiel. Sie zweifelte allmählich an Arnes geistigen Fähigkeiten. Der Junge sah sie immer noch völlig verständnislos an. Dabei machte er nicht eben den intelligentesten Eindruck. Sein Mund stand in ungläubigem Staunen erstarrt weit offen und er schüttelte fortwährend den Kopf.
    „So versteh doch, Arne. Der Mensch stiehlt sich die Zeit am 29. Februar. Alle vier Jahre tut er das.“
    Martha wusste, dass Arne auch diesmal wieder die Frage stellen würde, die er nun schon seit gut zwei Stunden immer wieder auf den Lippen hatte. Sie kam dem Jungen mit einem erneuten Erklärungsversuch zuvor.
    „Der Navigator hat es mir genau erklärt. Die Erde benötigt für einen Umlauf um die Sonne nicht 365  Tage, sondern ziemlich genau sechs Stunden mehr. Da ein

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