Terra Anchronos (German Edition)
den neuen Stern entdeckt, wandte mich mit der Entdeckung aber nicht, wie ich es eigentlich hätte tun sollen, an den Chefastronomen der Sternwarte. Nein, ich schrieb einen sensationellen Artikel und ließ ihn in allen wichtigen Zeitungen verbreiten. Den Ruhm wollte ich allein ernten.“
Stewart schüttelte den Kopf. „Es war jugendlicher Leichtsinn, wie sich herausstellen sollte. Natürlich war das Interesse aller Astronomen weltweit sehr groß. Nur den neuen Stern konnte niemand finden. Selbst ich nicht. Er war einfach wieder verschwunden.“
„Eine optische Täuschung?“, fragte Arne.
„Das ist es ja eben“, entfuhr es Stewart laut und er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, wo er sie liegen ließ und Arne tief in die Augen blickte.
„Ich schwöre, dass der Stern da war, Arne.“
Die Stimme des Astronomen drang leise und gedämpft an Arnes Ohr.
„Der Stern war da und verschwand wieder. Ich wurde von meinen Kollegen verlacht. Mit ihrem Hohn sorgten sie letztendlich dafür, dass ich wieder in diesem ausgedienten Observatorium in Greenwich landete. Stell dir vor: ein Astronom als Museumswärter. Mein Ruf als Wissenschaftler war ruiniert.“
Arne empfand echtes Mitgefühl, als er die traurigen Augen des Mannes sah.
„Sind Sie immer noch überzeugt, dass es diesen Stern gibt, Stewart?“
„Und ob ich das bin, Arne. Dieser verdammte Stern hat mich zwar meine Karriere gekostet, aber er ist da. Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche.
Ich kann ihn auch heute noch gelegentlich sehen. Das Ding kommt und geht, wie es ihm beliebt. Taucht auf und ist in der nächsten Nacht wieder verschwunden.“
„Merkwürdig“, murmelte Arne.
„In der Tat. Das ist aber auch der Grund, warum ich nicht glaube, dass du, mein Junge, das Blaue vom Himmel lügst.“
„Sie glauben mir also tatsächlich?“
„Zumindest ziehe ich es in Erwägung. Wenn am Sternenhimmel ein Tag fehlt und gleichzeitig ein Junge in meine Sternwarte fällt, der behauptet, in der Terra anchronos an der Uhr gedreht zu haben, sollte man darüber wirklich gut nachdenken.“
Der verlorene Sohn
Am nächsten Tag wachte Arne erst kurz vor Mittag aus einem tiefen, erholsamen Schlaf auf. Stewart und er hatten sich auf eine harte Pritsche im Observatorium gelegt, nachdem sie erst im Morgengrauen bemerkt hatten, dass die Müdigkeit sie zu übermannen drohte.
Zunächst sah Arne sich leicht verwirrt um, fand sich dann aber schnell wieder zurecht, als er den wei ßen Kittel des Astronomen rascheln hörte. Stewart stand über den Schreibtisch gebeugt und machte eifrig Notizen, die er hastig auf ein Stück Papier warf.
Arne reckte seine steifen Glieder und trat neben Stewart.
„Eine Frage geht mir nicht aus dem Sinn“, begann er, ohne auch nur ein höfliches Guten Morgen zu wünschen.
„Und die wäre?“ Der Astronom hob nur kurz den Kopf und widmete sich sofort wieder seinen Studien.
„Martha und ich sind kurz nach Ostern in die Terra anchronos gelangt. Heute ist der 22. Januar. Mir fehlen in der Rechnung zehn Monate.“
„Du hast doch gesagt, dass du sofort jedes Gefühl für Zeit verloren hast.“ Stewart sah Arne nicht einmal an, als er das sagte. „Immerhin seid ihr um die halbe Erdkugel gegangen. Ich meine, dass ihr ganz gut zu Fuß wart, wenn ihr die Strecke in nur zehn Monaten bewältigt habt.“
„Klingt einleuchtend.“ Arnes Gesicht hellte sich ein wenig auf, als er die Erklärung des Wissenschaftlers überdachte.
Beim gemeinsamen Frühstück fragte Stewart unvermittelt und mit vollem Mund: „Hast du kein Heimweh, Arne? Was ist mit deinen Eltern?“
Arne schluckte schwer. Natürlich hatte er schon an Vater und Mutter gedacht. Mehr aber noch an Martha, die er in der Terra anchronos zurückgelassen hatte. Ein unangenehmes, zwiespältiges Gefühl beschlich ihn. War er nun ein schlechter Sohn, weil ihm mehr an Marthas Schicksal gelegen war als an den Sorgen der Eltern?
„Sie haben recht, Stewart. Ich muss nach Hause.“
„Das klingt nicht gerade freudig.“
Arne spürte den freundschaftlichen Druck der Hand des Astronomen auf seiner Schulter.
„Ich schlage vor, wir bleiben in Kontakt.“
Stewart riss ein Blatt Papier aus seinem Notizblock und schrieb seine Adresse darauf. Geduldig wartete er, bis auch Arne seinen Namen und die Anschrift notiert hatte. Die Zettel wanderten in die Tasche des jeweils anderen.
„Es war mir eine Ehre, deine Bekanntschaft zu machen“, sagte der Astronom und verbeugte sich etwas
Weitere Kostenlose Bücher